KZ-Komplex Mittelbau-Dora

Der Konzentrationslagerkomplex Mittelbau-Dora

Die Untertagevorhaben des „Jägerstabes“ um Nordhausen führten insbesondere zwischen März und Juni 1944 zur Gründung zahlreicher neuer KZ-Außenkommandos mit dem alleinigen Zweck, den Bauprojekten in Massen Arbeitskräfte zuzuführen. Das erste, anfangs noch von Buchenwald abhängige Kammler-Lager war das Außenkommando „Heinrich“, dessen Häftlinge ab März 1944 beim Aufbau des Junkers-Werkes in der Heimkehle (Projekt A 5), später auf der Baustelle B 4 in Stempeda zu Zwangsarbeit eingesetzt waren. Beim Bauvorhaben B 3 im Himmelberg beabsichtigte die Bauleitung der Wifo, die Arbeitssklaven wie schon in „Dora“ direkt neben der Baustelle in einem eigenständigen Bau-KZ für mindestens 5.000 Personen unterzubringen. Die Planungen zerschlugen sich; stattdessen richtete die SS am 1. April 1944 das Lager Harzungen („Hans“) ein. Es ging auf Planungen der Wifo im Oktober 1943 zurück, die es ursprünglich für 1.000, dann sogar 2.000 Arbeitskräfte des Reichsarbeitsdienstes und des RLM vorgesehen hatte.

Aber auch dieses KZ reichte bald nicht mehr für den immensen Bedarf an Zwangsarbeitern im Stollenausbau aus. So kam es Anfang Mai 1944 zur Gründung des Lagers Ellrich-Juliushütte („Erich“) in den leerstehenden Gebäuden der Gipsfabriken Kuhlmann und Juliushütte. Die SS beschlagnahmte sie und funktionierte sie zu Häftlingsblöcken um. Ab Sommer 1944 war das Lager mit bis zu 8.000 Häftlingen belegt, nach Dora das zweitgrößte der Region. Erheblich kleiner waren die Außenlager der beiden „SS-Baubrigaden III und IV“, die der Kammler-Stab für den Bau der Helmetalbahn schrittweise aus dem Rhein-Ruhr-Gebiet in den Südharz verlegte. Man installierte sie zunächst in Wieda und in der Gaststätte Bürgergarten in Ellrich. Ab Sommer 1944 entstanden entlang der projektierten Bahntrasse weitere Nebenlager in Osterhagen, Nüxei, Mackenrode und Günzerode mit jeweils etwa 300 KZ-Gefangenen.

Anfang September 1944, noch vor Erhebung Mittelbau-Doras zur selbständigen KZ-Zentrale, wurde die „SS-Baubrigade I“ nach Sollstedt verlegt; ihre Häftlinge hatten die Grubenbaue im Schacht Neusollstedt als SS-Nachschublager herzurichten. Etwa zeitgleich erfolgte die Verlegung der „SS-Baubrigade V“ in die Region. Die Häftlinge wurden den Baubrigaden III und IV zur Verstärkung in verschiedenen Bauvorhaben zugeteilt. Das geschah auch mit Buchenwald-Häftlingen, mit denen diese „Baubrigade V“ im Oktober 1944 aufgestockt wurde. Die im September und Oktober 1944 neu zusammengestellten „SS-Eisenbahnbaubrigaden 1 und 3“ in Berga und Heringen dürften aus Zwangsarbeitern der Baubrigade V gebildet und durch Zuweisungen aus Dora verstärkt worden sein. Den übrigen Teil der „Baubrigade V“ verlegte die SS wenig später als „SS-Eisenbahnbaubrigade 5“ in einen Bauzug der Reichsbahn nach Osnabrück.

Im Juni 1944 fand eine erste organisatorische Umstrukturierung der im „Mittelraum“ befindlichen Außenlager Buchenwalds statt. Das Lager Dora selbst erhielt die Bezeichnung „Mittelbau I“, die benachbarten Lager wurden unter der Bezeichnung „Mittelbau II“ zusammengefasst. Am 10. September 1944 beraumte ein Sonderbefehl der Standortführung Mittelbau eine weitere Umorganisation an. Dora blieb „Mittelbau I“, Ellrich hieß nunmehr „Mittelbau II“, Harzungen „Mittelbau III“. Damit einhergehend wurde auch die Unterbringung der Bauhäftlinge neu geregelt. So sollten die „Stollenschicht-Häftlinge“ der Bauvorhaben B 3a, B 11 und der Tagesschicht B 3b sowie der in der Nähe liegenden Baustellen des Bauvorhabens B 13 im Lager Harzungen untergebracht werden. Die Tagesschicht-Häftlinge des Bauvorhabens B 3a kamen dagegen aus dem Lager Ellrich. Gleichzeitig wurden alle Wachmannschaften der SS und der Luftwaffe im Bereich des „Standortes Mittelbau“ zu den fünf Kompanien des SS-Wachkommandos der „Standortführung Mittelbau“ zusammengefasst.

Dazu gehörten ebenso die Lagerwachen der Baubrigaden III und IV in Wieda, Mackenrode-Tettenborn, Nüxei und Osterhagen. Wenige Tage später wurde auch die „SS-Baubrigade I“ in Sollstedt dem Standortbereich Mittelraum zugeordnet. Das Lager Dora übernahm schrittweise die Funktion eines Hauptlagers für die ursprünglichen Buchenwalder Außenlager seiner Umgebung. Hervorstechendes Merkmal der Verzahnung war die Tätigkeit des Arbeitseinsatzbüros Dora, das entkräftete und nicht mehr für die A4-Raketenmontage einsetzbare Häftlinge auf andere Außenlager verteilte. Allein in den acht Monaten von März bis Ende Oktober 1944 überstellte es auf diese Weise 10.000 Häftlinge an die Lager Harzungen, Ellrich und Rottleberode. Damit führte es Aufgaben aus, die nach den Richtlinien des SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamtes (SS-WVHA) nur einem KZ-Hauptlager zustanden.

Die steigende Bedeutung des Lagers Dora lässt sich zudem daran ablesen, dass es bereits vor seiner formellen Verselbständigung eigene Nebenlager gründete. Zwei dieser Außenkommandos entstanden aus der Notwendigkeit, nach Umwidmung von Produktionsflächen im Kohnstein Betriebsabteilungen des Mittelwerkes auszulagern. So wurden Demontage und Reparatur beschädigter A4-Raketen in das ehemalige Kalibergwerk Kleinbodungen ausgegliedert. Bis zu 700 Häftlinge waren ab Anfang Oktober 1944 dort eingesetzt und im KZ-Außenlager „Emmi“ untergebracht. 60 KZ-Gefangene des Lagers Ellrich hatten zuvor auf dem Schachtgelände massive, seit 1934 vom Heer genutzte Steingebäude entsprechend umgebaut.

In Roßla hatte die Mittelwerk GmbH in den Gebäuden der stillgelegten Zuckerfabrik ein dezentrales Zubehörlager angelegt; die Lagerarbeiten verrichteten KZ-Häftlinge des angeschlossenen Außenkommandos, das seit August 1944 in zwei Baracken des Reichsarbeitsdienstes untergebracht waren. Kleinere Lager mit zehn bis 60 italienischen Häftlingen in Wickerode, Trautenstein, Bleicherode, Ilsenburg und Quedlinburg standen in keinem direkten Zusammenhang mit der Raketenfertigung im Mittelraum. Die Zwangsarbeiter dieser reinen „Italienerlager“ waren seit dem Sommer 1944 beim Bau einer Starkstromleitung von Frose im Nordharz über Blankenburg, Trautenstein und Ilfeld nach Niedersachswerfen eingesetzt. Seit dem 26. Oktober 1944 beschäftigte das Hochbau- und Tiefbauunternehmen Ohl & Vattrodt bis zu 15 italienische Kriegsgefangene, die in einem Kleinstlager in Bleicherode untergebracht waren. Schon seit Herbst 1943 hatten Häftlinge des KZ Dora beim Bau von Stromleitungen in der Umgebung der Ortschaft gearbeitet.

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