Abteroda [BMW Eisenach]

Buchenwalder KZ-Außenkommandos Abteroda

Im Juni 1944 musste das Heer den Schacht Abteroda, der bis dahin als Munitionslager diente, „für vordringliche Produktion von BMW Eisenach“ räumen. Noch im selben Monat begann die OT Einsatzgruppe IV auf der zweiten Sohle mit dem Bau der Produktionsräume. Dem Projekt waren die Decknamen „Bär“ für den Verlagerungsbetrieb und für das Bauprojekt selbst – nach den Anfangsbuchstaben Abterodas – „Anton“ zugeordnet. Anfängliche Planungen sahen vor, für BMW unter Tage eine Fläche von 10.000 qm zu schaffen. Im Juni 1944 kamen weitere 6.000 qm an reiner Lagerfläche hinzu. Ende 1944 waren etwa 10.500 qm bergmännisch eingeebnet, 9.000 qm davon betoniert. Zu dem Zeitpunkt waren 190 Maschinen in Betrieb. Bei Kriegsende soll BMW 8.000 qm unter Tage zur Herstellung von Teilen des Flugmotors „003“ genutzt haben. Bis Ende November 1944 verbrachte die Firma 431 Maschinen aus ihrem Eisenacher Werk Dürrerhof nach Abteroda. 970 Arbeitskräfte in zwei Abteilungen produzierten darauf Einzel- und Drehteile.

Auch die Abteilung Düsengetriebe und Zahnräder wollte BMW ganz von Eisenach nach Abteroda verlegen, doch das ließ sich kurzfristig nicht machen. Anders als geplant waren bis November 1944 erst 40 % der Maschinen verlagert, möglicherweise infolge verzögerter Fertigstellung der vorgesehenen Räumlichkeiten. Dem Personalmangel brachte die Bauarbeiten der Organisation Todt immer wieder ins Stocken und Verzug. Zwar sagte das Kriegsgefangenenstammlager Bad Sulza im August 1944 die Abordnung 50 italienischer Militärinternierter zum Arbeitseinsatz zu, aber verwirklicht wurde das Versprechen nicht.

Wenige Monate vor dem Zusammenbruch waren keine zivilen Arbeitskräfte oder Zwangsarbeiter mehr zu haben, nur noch Arbeitssklaven aus den KZs kamen in Frage. So griffen sowohl die OT-Bauleitung für die Schachtbauarbeiten wie auch BMW für die Einrichtung der Maschinenhallen und den späteren Produktionsbetrieb auf dieses Arbeitskräfte-Reservoir zurück. Sie errichteten ein eigenes Außenkommando, das in den Buchenwalder Bestandslisten erstmals am 1. August 1944 mit 79 männlichen Insassen Erwähnung findet. Mehrere dieser Häftlinge verrichteten bereits zuvor als Insassen des Eisenacher Kommandos „Emma“ für BMW Zwangsarbeit. Am 3. August verlegte das Eisenacher Werk weitere 11 Häftlinge nach Abteroda, zwei Tage später nochmals 10, am 10. August 88 und am Folgetag 21. Selbst kleinste Transporte nach Abteroda sind aktenkundig, und zwar am 19. mit drei und am 24. August mit sieben KZ-Insassen. Die Zahl der Häftlinge im KZ-Lager Abteroda blieb danach konstant. Am 20. November wurden 10 vermutlich kranke Häftlinge ins Stammlager Buchenwald zurückverlegt und am 24. November durch acht neue Zwangsarbeiter mit KZ-Status „ersetzt“. Am 10. Januar 1945 zählte das BMW-Arbeitskommando 229 Insassen, am Monatsende 230, zumeist Franzosen und Russen.

Die Quellenlage für dieses – in der SS-Nomenklatur – Arbeitskommando „Anton I“ ist dürftig; Kommandoführer war ein SS-Unterscharführer Landau. Die KZ-Insassen waren in zwei von der Heeresmunitionsanstalt geräumten Lagerhallen untergebracht, die die SS mit einem zwei Meter hohen Zaun abtrennte. An den Ecken standen vier Meter hohe, mit Scheinwerfern bestückte Holzwachtürme. Kontakte zu den Zwangsarbeitern der umliegenden Lager wurden strengstens unterbunden. Der französische Zwangsarbeiter Mansfield, der zusammen mit Häftlingen des Arbeitskommandos „Anton“ in einer der Produktionshallen arbeitete, erinnert sich: „Einmal kam ein SS-Kommandant zu mir und fragte mich, ob es Sabotage war, dass die Kette einer Maschine immer kaputt ging. Ich sehe noch immer das Gesicht des armen KZlers, der an der Maschine arbeitete. Ich sagte dem Kommandanten, dass der Krieg schon zu lange gedauert hat und die Kette verschlissen sei. Zum Glück des KZlers glaubte der Kommandant mir“.

Einer der für BMW im KZ-Kommando „Anton“ zwangsarbeitenden Häftlinge war der am 17. Dezember 1919 in Wuppertal geborene Ignaz B. Die Wehrmacht zog ihn am 4. Oktober 1940 zum Fronteinsatz in Frankreich und Russland ein, dann kam er 1942 zur Firma Krupp. Trotz seines Kriegseinsatzes wurde er am 14. Oktober 1944 als „Zigeuner“ verhaftet. Seine Weigerung, sich von seiner im September 1940 geheirateten „deutschen“ Frau scheiden zu lassen, führte zur Einweisung ins Konzentrationslager Buchenwald. Ignaz B. war einige Wochen in Abteroda beschäftigt, trat morgens um sieben Uhr die Arbeit im Flugmotorenwerk an und kehrte erst gegen neun Uhr abends ins Lager zurück. Im Oktober 1966 gab er zu Protokoll, dort nie Zeuge von Häftlingserschießungen gewesen zu sein. Zum Lageralltag machte er keine konkreteren Angaben. Nach einigen Wochen kehrte er nach Buchenwald zurück und wurde Mitte April 1945 befreit. Seine Mutter und seine Schwester hingegen wurden in Bergen-Belsen Opfer der „Zigeuner“-Verfolgung. Im Oktober 1944 leisteten die männlichen Insassen des Lagers „Anton“ für BMW 64.042 Stunden Zwangsarbeit, im November 63.108 und 52.200 im Februar 1945. Für die Arbeiter seines KZs überwies das Abteröder Flugmotorenwerk im November 32.340 RM an das SS-WVHA in Berlin; im Folgemonat wurden 27.058 RM fällig. Das Arbeitskommando „Anton“ löste sich Anfang April 1945 wegen „Feindnähe“ in zwei Schritten auf. Am 4. April 1945 setzte die SS 212 Häftlinge in Richtung Buchenwald in Marsch, die restlichen fünf folgten vier Tage später.

1966 leitete die Ludwigsburger Zentralstelle der Landesjustizverwaltungen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren ein, um zu klären, ob das SS-Personal im Männerlager Abteroda bewusste Tötungshandlungen beging. Vier ehemalige Häftlinge sagten aus. Allerdings konnten sie den Anfangsverdacht nicht erhärten, so dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren im April 1967 einstellte.

Neben dem seit Ende Juli 1944 bestehenden Männerlager richtete die SS einige Wochen später das Frauen-Kommando „Anton II“ ein. Lager- und Arbeitsbedingungen sind im Unterschied zum Männerlager „Anton I“ gut dokumentiert. Die französischen Zwangsarbeiterinnen in „Anton II“ kamen ursprünglich aus dem Frauenlager Ravensbrück, 500 weibliche Häftlinge wurden Anfang September 1944 in das neue Buchenwald-Außenkommando Torgau verlegt, um Blindgänger zu reinigen. Sie mussten die Innenwände der Hülsen von Sprengstoffresten befreien und in einem Säurebad waschen. Dazu erhielten sie zwar Gummischürzen, jedoch weder für Hände noch Gesicht einen Schutz. So fraß sich die Säure tief in die Haut und die giftigen Dämpfe gelangten ungehindert in die Lunge. Nach vier Wochen war die Gesundheit der Frauen derart ruiniert, dass die Torgauer Heeresmunitionsanstalt selbst darauf drängte, die Frauen loszuwerden.

Am 5. Oktober 1944 beorderte der Buchenwalder Lagerkommandant Pister die Hälfte dieser geschwächten weiblichen Häftlinge nach Abteroda zur Zwangsarbeit für BMW. Die übrigen 248 Frauen schickte die SS nach Ravensbrück zurück. Um die Lücke zu schließen, bekam die Torgauer Munitionsanstalt am 30. Oktober 250 Frauen aus Auschwitz zugewiesen. Am 16. Oktober 1944 ließ das Stammlager Buchenwald an seine Arbeiterinnen im Außenkommando Abteroda neue Stoffnummern verteilen. Das BMW-Werk brachte auch sie in einer Werkshalle auf dem ehemaligen Muna-Gelände unter. Über den Arbeitsräumen im Erdgeschoss befanden sich in einem etwa 60 mal 20 Meter messenden Saal die Schlafstätten. Eine Abzäunung des Gebäudes ähnlich dem Männerlager gab es offenbar nicht. Im Dezember 1945 leisteten die KZ-Frauen im Flugmotorenwerk 5.401 Arbeitsstunden, die sich die SS von BMW mit 21.604 RM vergüten ließ. Nahezu unverändert lag die Belegschaftsstärke bis Ende Januar 1944 bei 250 KZ-Frauen.

Je näher das Kriegsende heranrückte, desto mehr versuchte die unter Erfolgs- und Rechtfertigungsdruck stehende Werksleitung die weiblichen Häftlinge für das Nichterreichen von Planzahlen verantwortlich zu machen. Ihnen wurden Sabotageakte oder innere Arbeitsverweigerung unterstellt. Damit gingen Schikanen und weitere Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen einher, an die sich die 1923 geborene Jaqueline Marié 1994 erinnerte: „Es ging das Gerücht um, dass der Direktor der Fabrik mit der Arbeit der Französinnen nicht zufrieden war. Eines Tages wurden wir einer Inspektion durch eine SS-Abordnung aus Buchenwald unterzogen.  (. . . ) Die Inspektion fand in der Werkhalle und in unserem ‚Schlafsaal‘ statt, in dem alles auseinander genommen und die Strohsäcke untersucht wurden. Das Revier wurde geleert und die Insassen ‚gebeten‘, die Arbeit wieder aufzunehmen. Die Überwachung verstärkte sich danach, die Schläge ebenso“. Obwohl der Sabotageverdacht sich nicht bestätigte, ließ die SS die gerade erst aus Torgau zugewiesenen 250 Französinnen im Februar 1945 in zwei Schüben ins Junkers-Außenkommando Markkleeberg verlegen. Ein erster Transport, 125 Frauen, die zu dem Zeitpunkt in der Rüstungsproduktion nicht mehr erforderlich waren, wurde am 12. Februar 1945 auf den Weg geschickt.

Für die direkt in der Serienproduktion tätigen Zwangsarbeiterinnen musste dagegen zunächst „Ersatz“ beschafft werden. Am 18. Februar 1945 kamen 125 Häftlinge aus dem Konzentrationslager Ravensbrück, so dass die zweite Gruppe Französinnen am 24. Februar 1945 nach Markkleeberg abgeschoben wurde.  Am folgenden Tag bestätigte das Arbeitslager Abteroda der Kommandantur Buchenwald, dass „am 24.02.1945 (…) die restlichen 224 französischen Häftlingsfrauen nach dem Kdo. Junkers Markkleeberg über Leipzig überstellt“ wurden. Nachdem Anfang März 1945 damit die komplette Belegschaft des Außenkommandos Abteroda ausgetauscht worden war, bestand es nur noch aus 125 KZ-Frauen, darunter 32 Kranken. Kommandoführer des Frauenlagers war zunächst SS-Scharführer Mehlführer, kurz darauf wurde es SS-Hauptscharführer John. Das Bewachungspersonal bestand aus 16 SS-Männern und 22 Aufseherinnen.

Ein junges Mädchen, das in Abteroda Teile für BMW-Flugmotoren herstellte, war Jacqueline Marie. Ihre Familie war 1938 von Berlin ins Exil nach Versailles gegangen; Jacqueline war damals 15 Jahre alt, besuchte dort das Gymnasium und nahm danach eine Ausbildung als Sozialpflegerin auf. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen engagierte sich die Familie in der Résistance; Jaqueline Marie verbreitete mit der Gruppe „Défense de la France“ um Versailles eine illegale Zeitung. Gleichzeitig arbeitete sie als Verbindungsfrau zum Aufklärungsnetz „Mithridate“, in dem ihr Bruder sehr aktiv war. Am 29. Juni 1944 wurde sie mit ihren Eltern verhaftet und im berüchtigten Gefängnis Fresnes inhaftiert.

Alle drei wurden am 15. August 1944 nach Deutschland deportiert, der Vater nach Buchenwald, Mutter und Tochter nach Ravensbrück, wo sie am 21. August 1944 anlangten. Nur wenige Tage später, am 4. September 1944, begann die Odyssee der beiden Frauen durch die Rüstungsbetriebe und ihre Zwangsarbeiterlager, erst die Heeresmuna Torgau, dann BMW in Abteroda und schließlich Junkers Markkleeberg. Bei der Auflösung dieses Lagers wurden sie ab 13. April 1945 auf einen Evakuierungsmarsch in Richtung Elbe getrieben, für viele ihrer Mithäftlinge ein Marsch in den Tod. Am 29. April 1945 konnten Jacqueline Marie und ihre Mutter in der Nähe der Festung Königstein den Bewachern entkommen. Befreite französische Gefangene halfen ihnen, die amerikanische Zone zu erreichen; von dort aus traten sie die Heimreise nach Paris an.

Im Frauenlager Abteroda herrschten jämmerliche Bedingungen. Von Ende Februar bis Mitte März 1945 befanden sich Tag für Tag etwa acht Frauen in stationärer und 15 in ambulanter Behandlung. Viele von ihnen litten unter Grippe, Angina oder Erkältungen. Die Lagerleitung führte dies auf die schlechte Bekleidung der Häftlinge, die feuchte Kälte des Schlafraums und den Mangel an Heizmaterial zurück. Außerdem litten die Frauen häufig an Durchfall und Magenerkrankungen. Der Kommandoführer nannte als Grund dafür, dass 80 % der Häftlinge hätten sich nach nur wenigen Wochen im Lager noch nicht an die Lagerkost gewohnt, und forderte dringend eine Häftlingsärztin an.

Auch barg die Arbeit in der BMW-Motorenproduktion insbesondere für die völlig entkräfteten Frauen erhebliche Gefahren. So geriet die Französin Raymonde Garin bei einem Schwächeanfall in eine der Bohrmaschinen und erlitt lebensgefährliche Verletzungen; die Lagerleitung wies sie in ein Eisenacher Krankenhaus ein. Dort ließ man sie 54 Tage lang in einer Einzelzelle im Keller liegen. Einen Verbandswechsel gab es nur in den ersten Tagen. Trotz der immer noch eiternden Wunde überstellte die SS mit den anderen Häftlingen auch sie an das Junkers-Außenkommando Markkleeberg. Am 4. April 1945 löste die SS das Außenkommando Abteroda auf. Zusammen mit den Häftlingen des BMW-Männerlagers wurden die Frauen in Richtung Buchenwald in Marsch gesetzt, zunächst in Richtung Eisenach und weiter in den Thüringer Wald bei Förtha und Wünschensuhl, bis der Zug am 8. April 1945 Buchenwald erreichte.

Während die Männer im Stammlager blieben, mussten die weiblichen Häftlinge über Erfurt, Chemnitz, Leipzig und Gotha in das mittelsächsische Buchenwald-Außenlager Penig weitermarschieren. Das Außenkommando war zu diesem Zeitpunkt bereits mit etwa 800 weiblichen, zumeist jüdischen Häftlingen, die für den Junkers-Zulieferer „Max-Gehrt-Werke“ schufteten, belegt. Als die amerikanischen Truppen unmittelbar vor Penig standen, wahrscheinlich am 13. April 1945, ordnete der SS-Kommandoführer die Auflösung des Lagers an. Die todkranken Häftlinge blieben zurück, alle anderen traten erneut einen Evakuierungsmarsch an, diesmal über Mittweida und Chemnitz in Richtung Leitmeritz. Unterwegs setzten sich SS und die Aufseherinnen ab. Bei Leitmeritz traf das Gros der Frauen auf amerikanische Truppen und war befreit. Eine Gruppe von 34 weiblichen Häftlingen schleppte sich jedoch weiter bis nach Theresienstadt.