Roßla, Mittelwerk GmbH

Im April 1944 wies das OKH die Mittelwerk GmbH an, die nördliche Hälfte der Stollenanlage im Kohnstein für die Auslagerung von Teilen der Junkers-Produktion in den Zweigwerken Köthen und Leipzig zu räumen. Dem dadurch entstandenen Platzmangel versuchte das Mittelwerk durch Verteilung seiner Materialvorräte auf Gebäude im Umland abzuhelfen. Ein solches Magazin befand sich in der stillgelegten Roßlaer Zuckerfabrik, 30 Kilometer südöstlich von Nordhausen. Bleche, Zubehör für die A4-Rakete und für andere Waffen gelieferte Teile lagerten in den Gebäuden. Die großen Aluminiumtanks, die nicht in die Kellerräume passten, blieben im Freien auf dem Hof. Dora-Häftlinge wurden erstmals am 1. August 1944 in Roßla eingesetzt, als das Kohnstein-Lager selbst noch Außenkommando des KZ Buchenwald war. Anfangs fuhren die hundert Häftlinge des nach seinem Kapo Willy Schmidt benannten Kommandos täglich mit dem Zug nach Roßla. Allmorgendlich marschierten sie zum Bahnhof Krimderode. Zur Vermeidung von Kontakten mit der Bevölkerung durften sie den Zug nur in einem abgegrenzten Bahnsteigbereich besteigen. Nach halbstündiger Fahrt trafen sie in Roßla ein.

Dort be- und entluden sie die für das Mittelwerk eintreffenden oder zum Kohnstein abgehenden Güterwagen, verrichteten aber auch andere anfallende Arbeiten. Der Ukrainer und ehemalige Häftling Viktor Aleksejewitsch Tumizkij berichtet, er habe waggonweise Schrott entladen und mit bloßen Händen Blindgänger ausgraben müssen. Gleich im August 1944 ging die Mittelwerk GmbH daran, ein unbenutztes, 1936 errichtetes Reichsarbeitsdienstlager auf dem Gelände der Zuckerfabrik zum Häftlingslager umzufunktionieren. Auf Anweisung der SS wurde hierzu eine der beiden Baracken, die eigentliche Häftlingsbaracke, bis Ende August mit Stacheldraht und Sichtschutzzaun umgeben.

In den Bestandslisten des Lagers Dora erscheint das Außenkommando Roßla erstmals am 31. August 1944 mit 82 Häftlingen, darunter 14 Franzosen, von denen bereits einer in Peenemünde beschäftigt war. Am 28. Oktober 1944 führt die eigene Bestandsliste des Außenkommandos Roßla 112 Häftlinge auf; 14 von ihnen waren in Kelbra eingesetzt. Bis Kriegsende war Roßla mit etwa hundert Häftlingen belegt. In der nicht eingezäunten Baracke waren die Gemeinschaftseinrichtungen wie Küche und Krankenstation.

Nach Angaben des Häftlings Max Dutillieux, während des gesamten Zeitraumes Zwangsarbeiter in Roßla, befanden sich in dieser Baracke auch die Unterkünfte der SS-Wachen. In der abgezäunten Häftlingsbaracke unterschieden die Insassen zwei Abteilungen. Das „Quartier noble“ mit der „Elite“ der Kapos, Vorarbeiter, Krankenpfleger sowie den Polen, Tschechen, Franzosen und einem Belgier einerseits und das „Quartier prolo“ andererseits, in dem die noch sehr jungen russischen Häftlinge hausten. Der Morgen- und Abendappell fand auf dem zehn Meter breiten Platz zwischen den Baracken statt. Obwohl sich die Haftbedingungen gegenüber denen von Dora nicht geändert hatten, war das Gefangenendasein in Roßla um einiges leichter als im Hauptlager. Vor allem gab es keine wahllosen Verurteilungen oder Schläge durch den Lagerleiter und das SS-Personal. Doch seit Jahresbeginn 1945 gefährdeten Luftangriffe das Leben der Häftlinge und erschwerten zusätzlich die Arbeitsbedingungen. Nach Angriffen alliierter Flugzeuge auf beladene Züge mussten Tanks, Raketenteile und Material wieder abgeladen, kontrolliert und neu verladen werden. Bei einem dieser Luftangriffe führten die SS-Bewacher die Häftlinge in den Luftschutzkeller, ein Gewölbe unter dem Gebäude, das den Häftlingen beinahe zum Verhängnis geworden wäre. Ein in Brand geschossener Kesselwagen voll Benzin explodierte auf dem Gleis direkt über dem Unterschlupf.

Einen Tag vor der Evakuierung des Außenkommandos, am 3. April 1945, trafen laut Lagerkapo Schmidt etwa 30 Verletzte aus Nordhausen in Roßla ein; es dürfte sich um Häftlinge des Außenkommandos Boelcke-Kaserne gehandelt haben. Den „Evakuierungsmarsch“ des Lagers am 4. oder 5. April 1945 hat ein Kind beobachtet und seine traumatisierenden Eindrücke später aufgeschrieben: „In ihren Holzschuhen schleppten sie sich über das Pflaster. (…) Immer wieder wurden sie von ihren SS-Bewachern angetrieben. An die genaue Zahl kann ich mich nicht mehr erinnern. Es waren wohl 50 oder 100. (…) Am Schluss der Kolonne schleppten zwei Häftlinge einen Kameraden mit. Selbst schon fast kraftlos, hatten sie ihn in die Mitte genommen und seine Arme um ihren Hals gelegt. Halb trugen sie ihn, halb schleiften sie ihn mit. Ich sah seine Füße bluten. Es war ein Bild, das ich nie wieder vergessen werde“.
Roßla, kz außenkommando der mittelwerk gmbh

Der Zug marschierte über Berga, Rottleberode und Stolberg in den Harz. Verglichen mit den Häftlingen der Baukommandos wussten die aus Roßla sich in relativ guter Verfassung. „Das dürfte mir und meinen Kameraden ermöglicht haben, auf der chaotischen Flucht im April bis Mai 1945 durchzuhalten“, erinnert sich Max Dutillieux. Nach vierzehn Tagen Fußmarsch erreichte der Zug am 17. oder 18. April das Lager der Heinkel-Werke bei Oranienburg. Am 21. April 1945 wurde die geschlossene Gruppe mit dem Oranienburger Lager evakuiert. In der Nacht zum 1. Mai 1945 setzte sich das SS-Wachpersonal ab. „Kein einziger SS-Mann mehr da! Sie (waren) allesamt verschwunden“. Die Häftlinge traten getrennt ihre Heimwege an.

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