Langensalza [Langenwerke AG, Junkers-Verlagerungsbetrieb]

Langensalza, Junkers/Langenwerke AG

Am 20. Dezember 1943 stimmte das RLM einer Teilverlagerung des Junkers-Stammwerkes Schönebeck nach Langensalza zu. Auffangbetrieb war die dortige Kammgarnspinnerei, ein lokaler Traditionsbetrieb, den der Nordwollkonzern 1906 übernommen und 1932 nach seinem Konkurs abgestoßen hatte. Neuer Eigentümer wurde die belgische Kammgarnwerke AG Eupen. Obwohl sie selbst seit 1936 Wehrmachtsversorger war, wurde ihr Maschinenpark 1943 demontiert und in einer Ziegelei gelagert. Der in die geräumten Fabrikhallen ausgelagerte Junkers-Betrieb trat unter dem Decknamen Langenwerke AG auf. Gemeinsam mit einer später in Niederorschel angesiedelten Abteilung stellten die Langenwerke Tragflächen für die Ju 88 und vor allem das Focke-Wulf Jagdflugzeug FW 190 her. Die Betriebsverlagerung nach Langensalza ging recht schnell vonstatten, denn schon im ersten Quartal 1944 konnte in Teilbereichen der Tragflächenbau aufgenommen werden. Anfang Februar 1944 erklärte sich der Direktor des Langensalzer Werkes bereit, vorübergehend 50 Arbeitskräfte für den Aufbau einer weiteren Junkers-Niederlassung in den Fabrikgebäuden der Mühlhäuser Thuringia Kammgarnspinnerei GmbH abzustellen. Zu dem Zeitpunkt beschäftigten die Langenwerke 750 Personen.

Im Oktober 1944 wurde die Produktion der Langenwerke AG ausgeweitet und ein verstärkter Arbeitskräftebedarf entstand. Junkers Langensalza deckte ihn wie bereits seit Monaten alle anderen größeren Zweigbetriebe des Konzerns durch die Heranziehung von KZ-Häftlingen. Die Zwischenbilanz zum 31. August 1944 belegt, dass die Beschäftigung von Zwangsarbeitern mit KZ-Statut von langer Hand geplant war, wie die Buchhalter der Firma notieren: „Der Betrieb III Niederorschel, in dem KZ-Häftlinge zum Einsatz kommen, wird genauso wie die Umstellung der Belei II (gemeint war ein Betriebsteil des Werkes Langensalza) auf KZ-Häftlinge gesondert geplant“. Am 21. Oktober 1944 verlegte das Konzentrationslager Buchenwald die ersten hundert Häftlinge nach Langensalza. Schon am 25. Oktober schickte der örtliche Lagerführer fünf von ihnen wegen fehlender Einsatzfähigkeit ins Stammlager zurück. Am 26. Oktober 1944 erfolgte ein zweiter Häftlingstransport mit 50 KZ-Insassen des Weimarer Hauptlagers. Drei Tage später kommandierte Buchenwald noch einmal 182 Häftlinge zur Zwangsarbeit nach Langensalza. Damit erhielt der dortige Junkers-Betrieb binnen weniger Tage ein Kontingent von 327 Häftlingen.

Einen Sonderstatus erhielt das KZ-Außenlager als zentrales Straflager für entflohene und wieder aufgegriffene KZ-Häftlinge. In den folgenden Wochen trafen sie zu Hunderten aus dem gesamten Reichsgebiet in Langensalza ein. Mit einem roten Punkt und einem Kreis auf Brust und Rücken markiert, einer Art Zielscheibe, hatten sie ständig den Erschießungstod vor Augen. Der offizielle SS-Jargon bezeichnete dieses zusätzliche Stigma mit seinem üblichen Zynismus als „Fluchtpunkt“. Die Bestrafung des Häftlings für den Fluchtversuch war noch im günstigsten Fall die Einweisung in eine Strafkompanie wie Langensalza. Zumeist waren diese Häftlinge jedoch schwersten Brutalitäten der SS ausgesetzt, um die übrigen KZ-Insassen von Fluchtversuchen abzuschrecken. Am 12. November 1944 überstellte das KZ Neuengamme, offenbar eines mehrerer Sammellager der Gestapo-Dienststellen für Strafhäftlinge nach Fluchtversuchen, die ersten 173 nach Langensalza.

Bereits drei Tage zuvor hatte das Junkers-Außenkommando den Zugang von 40 „Fluchtpunkt“-Häftlingen aus Sachsenhausen gemeldet. Am 10. Dezember folgten 22, am 30. Dezember 13 und am 18. Januar 1945 nochmals zehn Strafhäftlinge aus Neuengamme. Mit dem gleichen Status bekam das Produktionskommando der Langenwerke AG am 29. Dezember 1944 acht KZ-Gefangene aus Sachsenhausen, zwischen dem 3. Dezember 1944 und 9. Januar 1945 vier Insassen aus Natzweiler zugeteilt. Nach Naumann sollen insgesamt 48 „Fluchtpunkt“-Häftlinge aus Sachsenhausen, 33 aus Flossenbürg, 218 aus Neuengamme, 88 aus Natzweiler, 181 aus Dachau, 93 aus Mauthausen, 22 aus Groß-Rosen, 18 aus Auschwitz und 27 aus Ravensbrück zur Strafe nach Langensalza verbracht worden sein. Am 2. Januar 1945 zählte das KZ-Außenkommando der Langenwerke AG 1.458 Insassen; auch in der Folgezeit sank die Zahl nie unter 1.200, selbst als am 19. Januar 50 Häftlinge zum Kommando „Zwieberge“ nach Halberstadt, am 30. Januar sowie 11. Februar 1945 jeweils 200 Junkers-Häftlinge dem KZ Mittelbau-Dora überstellt wurden.

Seine KZ-Arbeiter hatte Junkers in einem zweistöckigen Gebäude unmittelbar neben den Fabrikhallen des Flugzeugwerkes einquartiert. Die Häftlingsunterkünfte und die Werkhallen auf dem Gelände der Kammgarnwerke waren mit einem Stacheldrahtzaun ausbruchsicher gemacht. Sechs scharfe Hunde sollen das Gelände bewacht haben. In den Hallen standen zweistöckige Bettgestelle mit Strohmatratzen und grauen Decken. Nach Aussagen des in Langensalza internierten Gleb Rahr soll es einigen seiner Kameraden sogar gelungen sein, sich Bettzeug zu beschaffen. Während der Arbeit in den Langenwerken beaufsichtigten deutschen Ingenieure und ‚Wachtmeister‘ die KZ-Insassen.

Die KZ-Häftlinge wurden vorwiegend beim Bau der Flugzeugrümpfe und -tragflächen sowie bei deren Montage eingesetzt. An sechs Wochentagen wurde in zwei Schichten zu je 12 Stunden gearbeitet. Die Häftlinge trugen bereits in Buchenwald erhaltene gestreifte Anzüge, teils aber auch ‚Zivilkleidung‘ verstorbener KZ-Insassen, auf die zur Kenntlichmachung in roter Farbe der „Fluchtpunkt“ aufgemalt war. Am Stärksten vertreten waren polnische Zwangsarbeiter, zumeist Offiziere und Teilnehmer des Warschauer Aufstandes. Aber auch viele Russen bevölkerten dieses Straf-KZ, ein geringerer Teil Franzosen und Belgier sowie wenige deutsche Häftlinge.

Im November 1944 hatte Junkers für die in Langensalza tätigen KZ-Arbeiter 87.984 RM an die SS zu entrichten, im Folgemonat 56.936,40 RM. Obwohl es sich um ein Strafkommando handelte, lag die Sterblichkeitsrate niedriger als in anderen Buchenwalder Außenkommandos, möglicherweise in Folge der Abhängigkeit des Betriebs von den meist angelernten und spezialisierten Arbeitskräften. Entkräftete und krankheitsbedingt arbeitsunfähige Häftlinge wurden unverzüglich nach Buchenwald geschafft, statt sie längere Zeit im Krankenrevier zu behalten. So schickte das Außenkommando allein zwischen dem 4. November und dem 16. Dezember 1944 mindestens elf Häftlinge zur ‚Lazarettbehandlung‘ nach Buchenwald. Im Dezember 1944 verstarben in Langensalza zwei, im Januar 1945 sechzehn und im Februar und März jeweils zwei KZ-Gefangene, unter ihnen ein polnischer Häftling, den ein junger SS-Aufseher beim Transport von Tragflächen erschossen haben soll. Die gleiche Zeitzeugin berichtet, im angrenzenden Park nur teilweise bedeckte menschliche Gliedmaßen gesehen zu haben.

Mit Ausnahme des geschilderten Vorfalles scheint es im Lager selbst zu keinen weiteren Häftlingstötungen gekommen zu sein. Die in Langensalza verstorbenen KZ-Insassen wurden im örtlichen Krematorium verbrannt, die Urnen nach Buchenwald geschafft. Die Überlebens- und Existenzbedingungen wurden wesentlich durch den Langensalzaer Lagerkommandanten, SS-Hauptscharführer Josef Ebenhöh, beeinflusst. Er soll nach Angaben des Junkers-Zwangsarbeiters Gleb Rahr „ein erwiesenermaßen anständiger und korrekter Mann“ gewesen sein, „der auch keine Willkür seitens seiner SS-Leute“ zugelassen habe. Auch ein Teil des SS-Personals, so Rahr bei seinem Besuch im Jahr 1995 in Langensalza, das aus eingezogenen Rumäniendeutschen bestand, habe sich gegenüber den KZ-Gefangenen nicht nur korrekt, sondern sogar freundlich verhalten. Ganz im Gegensatz zu den SS-Bewachern, die den Evakuierungstransport nach Buchenwald begleiteten. Am 9. März 1945 ließ das Arbeitskommando Langensalza vier eines Einbruchdiebstahls beschuldigte polnische Häftlinge zur Bestrafung nach Buchenwald rücktransportieren; näheres ist nicht bekannt. Am 19. März 1945 war ein russischer Häftling beim Versuch, sich eine zusätzliche Ration Lebensmittel zu beschaffen, vom Bewachungspersonal überrascht worden, als er gegen 23.00 Uhr in den Aufbewahrungsraum mit fertigen Portionen eingebrochen war. Er war auf den Fahrstuhl geklettert und hatte Bretter der Seitenwände des Raumes entfernt, um mit Hilfe einer langen Eisenstange, deren Spitze geschärft war, Brotportionen aufzuspießen und zu sich heraufzuziehen. Dabei hatte er sich zu weit vorgelegt und war in den Raum hinabgefallen. Dadurch wurde der Vorfall bemerkt, der Häftling am Folgetag ins Stammlager bei Weimar überstellt. Ende März 1945 dürfte die Arbeit im Flugzeugwerk eingestellt worden sein, so dass die SS eine Rückverlagerung der 1.240 Häftlinge nach Buchenwald anordnete. Noch am Tag vor der Evakuierung des Außenlagers kam ein russischer Häftling bei einem Unfall ums Leben. Ihm war bei der Arbeit ein schweres Gestell auf den Körper gefallen.

Am 1. April 1945 traten die KZ-Gefangenen einen mehrtägigen Fußmarsch über Bad Tennstedt, Straußfurt und Sömmerda ins Stammlager an; 1.177 von ihnen trafen in Buchenwald ein. Unterwegs waren mindestens sechs, darunter vier russische Häftlinge, wegen Fluchtversuchs oder Marschunfähigkeit erschossen worden. Gleb Rahr erinnert sich: „Die Evakuierung der Häftlinge erfolgte am 1. bis 3. April 1945 zu Fuß mit zwei Unterbrechungen für die beiden Nächte. Die erste Nacht im freien Feld umzingelt von SS-Bewachern mit Hunden. Die zweite Nacht in eine Dorfkirche gepfercht“. Ein Mithäftling und Teilnehmer des Marsches ergänzt: „Die erste Nacht war schrecklich. Meine Gruppe musste in einer Feldscheune übernachten. Das Wasser reichte bis an die Knöchel. Man konnte nicht sitzen und selbstverständlich nicht liegen. (… ) Wir verbrachten die Nacht (…) Rücken gegen Rücken, stark gebeugt. (… ) Ende des 2. Tages übernachteten wir bequem in einer Kirche; warm und trocken. In der Nacht flüchteten ein Paar Häftlinge. Morgens war die SS wütend und hetzte ihre Hunde gegen uns“.

Insgesamt 17 KZ-Gefangene nutzten die Möglichkeit, aus der Kirche von Udestedt zu flüchten. Zwei weitere hatten sich im Kirchturm versteckt, wurden aber aufgegriffen und auf der Stelle erschossen. Die SS-Bewacher ließen sie hinter dem Dorf auf einem Acker verscharren. Beim Eintreffen der Überlebenden war das Lager Buchenwald bereits in Auflösung begriffen. So konnten die Junkers-Häftlinge aus Langensalza nicht mehr aufgenommen werden. Die SS verlud sie daraufhin in Waggons eines Zuges, der sich Richtung Tschechoslowakei in Marsch setzte. Im böhmischen Tachau mussten die Häftlinge erneut einen langen Fußmarsch antreten, der sie über Flossenbürg nach Wetterfeld führte, wo sie am 23. April 1945 von amerikanischen Truppen befreit wurden.

20 Jahre nach Kriegsende, im April 1965, stellten Mitarbeiter des VEB Westthüringer Kammgarnspinnerei zur Erinnerung an die 22 auf dem Gelände gestorbenen Häftlinge im Eingangsbereich des Betriebes einen Gedenkstein mit der ebenso unzutreffenden wie propagandistischen Inschrift auf: „In diesem Betrieb wurden in den Jahren 1944–1945 22 KZ-Häftlinge eines Außenkommandos des KZ Buchenwald von den Amerikanischer Soldat inspiziert verdeckte Junkers-Flugzeugrümpfe, die im Bereich des Bahnhofs Langensalza lagerten (NARA) Faschisten meuchlings ermordet“. Diese Stele existiert noch heute. Weitere Spuren der Geschichte des KZ-Lagers Langensalza fehlen allerdings.

Im Jahr 1966 leitete die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltung in Ludwigsburg strafrechtliche Ermittlungen gegen die SS-Bewacher wegen des Verdachts von Tötungsdelikten ein. Die angehörten Zeugen sagten übereinstimmend aus, im Lager selbst sei es zu keinen Häftlingstötungen gekommen, sondern ausschließlich während des Evakuierungsmarsches von Langensalza nach Buchenwald. Nach Abschluss umfangreicher Vorermittlungen wurden die Akten am 7. Februar 1974 an den Leiter der Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen in Konzentrationslagern bei der Staatsanwaltschaft Köln abgegeben. Von ihm wurde das Ermittlungsverfahren Ende Februar 1975 endgültig eingestellt, da „die Täter der von den Zeugen geschilderten Tötungshandlungen (…) nicht ermittelt werden konnten“. Der Lagerkommandant des KZ-Außenkommandos Langensalza, Josef Ebenhöh, war bereits seit Jahren verstorben. Laut Ermittlungsakten kam er am 22. März 1951 im Internierungslager in Untermaßfeld im Kreis Meiningen zu Tode.

Quelle:
Frank Baranowski, Rüstungsproduktion in Deutschlands Mitte von 1923 bis 1945, S. 392-402.

(c) Frank Baranowski 2016
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