Mühlhausen [Gerätebau GmbH/Zweigwerk Thiel Ruhla]

Mühlhausen, Gerätebau GmbH

Im Sommer 1934 nahm die Gebrüder Thiel GmbH im Mühlhäuser Stadtwald im staatlichen Auftrag den Bau einer Fabrik zur Herstellung von Uhrwerkszündern in Angriff. Spätestens Ende 1937 dürfte die Fabrik – zwei Fabrikations- und ein Verwaltungsgebäude – abgeschlossen gewesen und die Produktion aufgenommen worden sein. Am 29. November 1938 forderte das Oberkommando des Heeres den Präsidenten des Landesamtes Mitteldeutschland auf, dem Unternehmen weitere 410 Arbeiter/innen und 40 Facharbeiter, die „dringend für die Errichtung und Durchführung der 2. Schicht für die Zünderfertigung benötigt werden“, zuzuweisen. Betrieben wurde die Fabrik von der Gerätebau GmbH, einer neu gegründeten, nahezu hundertprozentigen Tochter der Gebrüder Thiel-Seebach GmbH. Im Frühjahr 1940 drosselte das Oberkommando des Heeres die Munitionsherstellung und damit seine Aufträge über Zünder an seinen Mühlhäuser Lieferanten. Die Produktion kam fast vollständig zum Erliegen, und eine Teilschließung des Werkes wurde erwogen. Mit Schreiben vom 18. Juni 1940 teilte der Direktor der Gerätebau Mühlhausen seiner Hauptverwaltung in Ruhla mit, dass die örtlichen Firmen Walter & Co. sowie Wagner & Co. schon vorgesprochen hätten, um Maschinen aufzukaufen oder die Gerätebau GmbH als Unterlieferanten zu gewinnen.

Am 19. Juni 1940 zeigte die Gerätebau GmbH dem Reichstreuhänder für Arbeit im Wirtschaftsgebiet Thüringen an, sie werde wegen des gesunkenen Auftragsvolumens etwa 1.200 männliche und 200 weibliche Arbeitskräfte entlassen müssen. Einen Monat später hatte sich die Situation jedoch grundlegend geändert. Am 26. Juli 1940 wies die Hauptverwaltung in Ruhla ihre Direktion in Mühlhausen an, die beiden Rüstungsbetriebe Walter & Co. und Wagner & Co. zu verständigen, dass infolge neuer Dispositionen weder Arbeitsräume noch Maschinen zur Verfügung stünden. Ende September 1940 teilte die Gerätebau GmbH dem Rüstungskommando Eisenach sogar einen erheblichen Bedarf an Arbeitskräften mit. Anfang Oktober 1940 verlangte die Firma mindestens 3.000 weitere Mitarbeiter. Der Arbeitsamtsleiter akzeptierte die Forderung und sicherte zu, sich dazu sofort mit dem Landesarbeitsamt in Verbindung zu setzen. Er hoffte, ab Anfang November 1940 Arbeitskräfte stellen zu können, bat aber um Klärung, ob gegebenenfalls auch Ausländer, entweder Holländer oder Belgier, in der Produktion eingesetzt werden könnten.

Mitte November 1940 wies das Arbeitsamt der Gerätebau GmbH deutsche Jüdinnen als Ersatzarbeitskräfte zu. Am 22. November 1940 drängte es, die Jüdinnen sofort zu übernehmen, „da es ausgeschlossen sei, dass die Arbeitskräfte noch bis Mitte Januar zur Verfügung“ stünden. Die Gerätebau GmbH wies auf die Unmöglichkeit hin, die Arbeitskräfte sofort einzusetzen, weil es noch immer an Baracken fehle und die Schaffung eines separaten Bereiches in der Werkhalle so kurzfristig nicht zu realisieren sei. So zerschlug sich vorerst der geplante, frühzeitige Einsatz von Häftlingen mit KZ-Statut in einem Rüstungsbetrieb. Im März 1941 waren bei der Gerätebau GmbH 4.133 Personen beschäftigt, ausschließlich deutsche Arbeitskräfte. Im März 1942 ergab sich für den Zünderproduzenten die Notwendigkeit, seine Belegschaft durch den Einsatz ausländischer Zwangsarbeiterinnen zu erweitern. Zunächst waren es 54, in den Folgejahren ständig mehr, am 5. Juni 1942 schon 571, darunter 468 Russinnen und 53 Kroatinnen. Am 5. Mai 1944 gehörten auch 95 Italiener, drei Franzosen, ein Belgier und ein Grieche zur Zwangsarbeiter-Belegschaft der Firma. Im April 1943 lag ihr Ausländeranteil bei 15 %, im Folgejahr bei 19 %. Mehr als die Hälfte der Ausländer waren Zwangsarbeiterinnen aus Russland, die mit dem Zeichen „Ost“ auf ihrer Kleidung diskriminiert wurden. Für ihre ausländischen Zwangsarbeiter hatte die Gerätebau GmbH 1939 ein betriebseigenes „Bereitschaftslager“ am Rande des Stadtwaldes, 2,5 km von der Fabrik entfernt, errichtet.

Mitte 1944 drohte der Arbeitskräftemangel bei der Mühlhäuser Gerätebau GmbH zu Produktionsausfällen zu führen. Um dem zu begegnen, griff die Firma im Juli 1944 auf einen Vorschlag zurück, den ihr das Arbeitsamt Mühlhausen schon 1940 gemacht hatte. Sie beantragte die Zuweisung von KZ-Häftlingen. Am 24. Juli 1944 führten ein Oberingenieur Braun der Gerätebau GmbH und der Kommandant des Konzentrationslagers Buchenwald, Hermann Pister, in Mühlhausen Verhandlungen deren Ergebnis Pister noch am gleichen Tag der Amtsgruppe D im SS-WVHA in Oranienburg fernschriftlich übermittelte: „Am 24.7. persönliche Rücksprache mit Oberingenieur Braun in Mühlhausen getätigt. Einsatzmöglichkeit für 500 weibliche Häftlinge in 2 bis 3 gut abgeschlossenen Hallen vorhanden (Zünderfabrikation). Unterkunft für Wachmannschaften, Aufseherinnen und Häftlinge in einem 2,5 km entfernt liegenden Lager. (…) Postenbedarf: 1 Kommandoführer, 8-10 Posten, 20 Aufseherinnen, letztere stellt das Werk“. Damit war zur Unterbringung der KZ-Häftlinge ein abgegrenzter Teil des B-Lagers vorgesehen. In der Verhandlung zwischen Braun und Pister war die nähere Vereinbarung getroffen worden, dass die Häftlinge erst zugewiesen würden, wenn die Aufseherinnen im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück ausgebildet worden waren.

Am 30. August 1944 teilte das Gerätebau-Außenkommando dem Buchenwald-Kommandanten mit, dass mit dem Eintreffen von zwölf männlichen Bewachungsposten an dem Tag „das Kommando (…) wie vorgesehen vollständig“ sei; allerdings meldete Kommandoführer Otto Baus am gleichen Tag nach Buchenwald, die weiblichen Häftlinge würden noch fehlen. Am 3. September 1944 füllte sich das Lager mit 500 Jüdinnen, überwiegend aus Ungarn und Polen. Bei ihrer Ankunft per Bahntransport in Mühlhausen ließ die SS die Frauen mit Straßenbahnen aufs Werksgelände schaffen, wo sie Decken und eine Ration Brot erhielten. Von dort trieb man sie in das entlegene Barackenlager, von nun an ihr täglicher Weg. Um diese KZ-Häftlinge im Betrieb besser von den Zwangsarbeiterinnen zu unterscheiden, hatte man ihre Kleidung auf dem Rücken mit roter Farbe markiert. Am 6. September 1944 meldete der Kommandant des Außenkommandos nach Buchenwald die Ankunft von acht Aufseherinnen aus Ravensbrück; weitere 15 trafen am 19. September nach ihrer Ausbildung in Ravensbrück im Gerätebau-KZ ein. Ende Oktober 1944 verlegte das Konzentrationslager Auschwitz 200 weibliche KZ-Häftlinge aus Krakau nach Mühlhausen.

In dünnen, zum Teil zerrissenen Sommerkleidern erreichten sie am 30. Oktober 1944 das Außenkommando. Vier schwangere Frauen wurden gleich wieder nach Auschwitz zurücktransportiert, was ihren Tod bedeutet haben dürfte. Im Monat Dezember 1944 kamen die weiblichen KZ-Häftlinge buchhalterisch festgehalten auf 165.447 Stunden Zwangsarbeit in der Zünderfabrikation; die Gerätebau GmbH entrichtete dafür 64.044 RM an das SS-WVHA. Am 27. Dezember 1944 wies der Kommandant des Konzentrationslagers Buchenwald die Lagerführer seiner Frauenkommandos an, alle schwangeren Häftlinge und solche mit Kleinkindern zur Überweisung in ein Frauenkonzentrationslager zu melden. Otto Baus, Kommandant des Außenkommandos der Gerätebau GmbH, meldete daraufhin dem Stammlager Buchenwald am 2. Januar 1945, man habe alle 696 Häftlinge untersucht und zwei Schwangere im sechsten und siebten Monat festgestellt. Am 24. Januar 1945 wurden diese beiden Frauen nach Bergen-Belsen überstellt. Eine Überlebende ist bekannt; sie konnte am 1. Juli 1945 nach Schweden ausreisen.

Zur Wiederherstellung der ursprünglichen Lagerstärke von 700 Häftlingen erhielt das Außenkommando Mühlhausen ‚im Austausch‘ am 28. Januar 1945 aus Bergen-Belsen sechs Jüdinnen, vier Ungarinnen und zwei Österreicherinnen im Alter zwischen 16 und 30 Jahren. Ende Januar 1945 wurde erwogen, die SS-Angehörigen in einer der Häftlingsbaracken unterzubringen. Dazu musste ein SS-Arzt des Hauptlagers Buchenwald das gesamte Barackenlager inspizieren. Sein Gutachten vom 29. Januar 1945 ist vernichtend: „Die ganze Baracke macht einen unsauberen und verkommenen Eindruck. In den Fugen der Spinde befinden sich Wanzen. Der Waschraum ist unbenutzbar, da die Wasserleitung eingefroren ist. Die Aborte sind völlig verschmutzt“. Er lehnte es daher ab, SS-Bewacher in eine dieser Baracken einziehen zu lassen. Die Frauen des Außenkommandos mussten jeden Morgen die 2,5 km zur Gerätebau GmbH zu Fuß zurücklegen, obwohl die wenigsten von ihnen überhaupt geeignetes Schuhwerk hatten. Bei Einrichtung des Mühlhäuser Außenkommandos hatte das Stammlager Buchenwald zugesagt, den weiblichen Häftlingen 500 Paar Lederschuhe zur Verfügung zu stellen, doch nur 200 Paar waren am 20. September 1944 eingetroffen.

Am 23. Oktober 1944 mahnte Otto Baus, der Lagerkommandant des Außenkommandos der Gerätebau, die fehlenden 300 Paar Schuhe an. Gleichzeitig bemängelte er, dass die vom Waschen dünn und zerrissene Unterwäsche ebenfalls ausgetauscht werden müsste. Mitte November 1944 lieferte Buchenwald fehlendes Schuhwerk, allerdings größtenteils ungeeignete Stöckel- und Sommerschuhe. Zur Vermeidung weiterer Arbeitsausfälle bat Lagerkommandant Baus am 14. November 1944 um Prüfung, ob für die Häftlinge nicht Holzschuhe beschafft werden könnten, und argumentierte, mangels geeigneter Kleidung und Schuhe befänden sich zur Zeit 40 Frauen im Krankenrevier. Die Gerätebau GmbH setzte die Frauen vorschriftswidrig nicht in einem abgesonderten Bereich, sondern überall bei der Zünderproduktion ein, so dass sie mit den deutschen Arbeitskräften unmittelbaren Kontakt hatten.

Bei Fliegeralarm wurden die Frauen in einen Luftschutzkeller mit gepanzerten Türen gesperrt – Sicherheitsmaßnahme oder Fürsorge? Zum Frühstück erhielten die Häftlinge eine Scheibe trockenes Brot; das Mittagessen, „eine stinkende, rötliche Masse“, lieferte man in großen, unsauberen Tonnen an. Ende Februar 1945 löste sich das Außenkommando der Gerätebau GmbH auf. Obwohl die Häftlinge die Buchenwald-Nummern 48.001 bis 48.699 trugen, brachte die SS sie nach Bergen-Belsen, bis Celle mit der Bahn, dann 15 Kilometer zu Fuß. Ausweislich eines handschriftlichen Vermerks auf der Transportliste vom 28. Februar 1945 trafen sie dort am 3. März 1945 ein.

Seit 1966 ermittelte die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg im Zusammenhang mit den Vorgängen im Mühlhäuser Frauen-KZ der Gerätebau GmbH, ob es im Lager zu körperlichen Misshandlungen oder zu Tötungen von Häftlingen gekommen war. Die Ermittler holten umfangreiche Zeugenaussagen ehemaliger Insassen ein, die inzwischen in Israel oder den USA lebten. Sechs Frauen konnten ausfindig gemacht und befragt werden. Gemessen an ihren Vorerfahrungen in den Konzentrationslagern Auschwitz, Ravensbrück und Plaszow schilderten sie die Bedingung in Mühlhausen trotz der harten zwölfstündigen Arbeit als erträglich und eine Möglichkeit des Überlebens. Das Verhalten des männlichen Bewachungspersonals wird als korrekt beschrieben, ganz im Gegensatz zu den weiblichen SS-Aufseherinnen, die ihren Anweisungen durch Schläge Nachdruck verliehen.

Dora S. aus Tel Aviv sagte aus, dass die Aufseherinnen insbesondere auf dem Weg vom stacheldrahtumzäunten Lager zur Arbeitsstätte immer wieder auf die KZ-Arbeiterinnen einschlugen. Das Essen wird zumeist als schlecht bezeichnet, aber immerhin so, dass die Frauen nicht verhungern mussten. Nach Angaben der bei ihrer Ankunft in Mühlhausen gerade einmal sechzehn Jahre alten Dora S. soll es zwei Mal täglich eine Suppe und eine Portion Brot gegeben haben. Die Unterbringung in den Baracken war beengt. Offenbar stand jedoch für jede der Frauen ein eigenes Bett mit Decken zur Verfügung. Tötungshandlungen haben die Befragten nicht bestätigen können, so dass die Zentrale Stelle das Ermittlungsverfahren durch Verfügung vom 24. September 1970 einstellte.

Quelle:
Frank Baranowski, Rüstungsproduktion in Deutschlands Mitte von 1923 bis 1945, S. 409-416.

(c) Frank Baranowski 2016
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