Im Vergleich zu Kommandos etwa im Stollenbau waren die Lebensbedingungen der Häftlinge in Niederorschel erträglicher. Die für Spezialtätigkeiten angelernten Arbeitskräfte waren nicht ohne Weiteres ersetzbar; von ihrem Überleben hing ganz wesentlich die Flugzeugproduktion ab. Gleichfalls begünstigend wirkte, dass das SS-Bewachungspersonal die Fabrik nur zu Zählappellen betreten durfte. Im Werk selbst beaufsichtigten deutsche Zivilarbeitskräfte die Häftlinge. Auch Einwohner Niederorschels und deutsche Arbeitskollegen unterstützten die Häftlinge hin und wieder. Sie steckten ihnen in unbeobachteten Momenten Essen zu oder schleusten gelegentlich Lebensmittel ins Lager.
„Auf dem Wege in den Wald versuchten wir, wenn uns ein anständiger Soldat bewachte, im Feld die zufällig nicht ausgehobenen Rüben zu finden und so den Hunger zu stillen. Einmal kam in den Wald eine unbekannte junge Frau, die uns einen Eimer voll gekochter Kartoffeln brachte“.
Wenngleich die äußeren Bedingungen nicht mit denen von Buchenwald oder Auschwitz vergleichbar waren und eine reelle Überlebenschance bestand, kann das nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch in Niederorschel KZ-Bedingungen – geprägt durch Hunger, zwölfstündige Schwerstarbeit und Repressalien durch das SS-Personal – den Alltag bestimmten. Der Häftling Simcha Bunem Unsdorfer, als Neunzehnjähriger von Auschwitz in das Eichsfelder Außenkommando verlegt, verdeutlicht in seiner 1961 unter dem Titel „The yellow star“ in New York erschienenen Autobiographie den Unterschied: „Unser neues Lager war nur ein paar hundert Meter vom Bahnhof entfernt, und wir waren sehr froh, dass es nur ein sehr kleines Lager war, etwa einen halben Quadratkilometer groß, einschließlich zweier großer Fabrikgebäude und eines Appellplatzes. Natürlich waren auch hier die Beobachtungsposten entlang des hohen Drahtzaunes, aber wir bemerkten mit Befriedigung die Abwesenheit der entsetzlichen und beängstigenden roten Backsteingebäude des Krematoriums und der weißwandigen Gaskammern. Uns beschlich das Gefühl verdammter Menschen, die plötzlich von der Todeszelle in ein normales Gefängnis zurückgebracht wurden“. Zwei Monate vor Auflösung des Außenkommandos versteckte der Schlossermeister Johannes Drößler einige Häftlinge in seiner Scheune und versorgte sie mit Lebensmitteln. Kurz vor Evakuierung des Lagers nahmen Einwohner weitere Lagerinsassen „in Obhut“. Damit entrannen etwa 30 Häftlinge der SS-Gewalt.
In den acht Monaten seiner Existenz starben im Außenkommando Niederorschel 19 Gefangene an Flecktyphus, Diphtherie und Ruhr; sie wurden im Krematorium in Mühlhausen eingeäschert, die Urnen dort beigesetzt. 1947 wurde eine Urne in die Nekropole Natzweiler-Struthof umgebettet. Ab Januar 1945 war die Fabrik nicht mehr ausgelastet, und die Häftlinge wurden zu anderen Arbeiten in der Umgebung eingesetzt. „Im Jahre 1945 war die Arbeit in der Fabrikhalle nicht mehr regelmäßig“, erinnert sich der ehemalige Häftling Kurt Kotouc. „Die Tragflächen häuften sich neben der Fabrik; es war wahrscheinlich schon unmöglich, diese Teile zur weiteren Montage abzusenden. Damit verschlechterte sich aber auch unsere Situation. Wir mussten dann oft im Wald arbeiten, z. B. Baumwurzeln ausheben“. Anfang Februar 1945 stellte Junkers die Nachtschicht ein. Dies ermöglichte Lagerkommandant Masorsky, den möglicherweise in Ungnade gefallenen Lagerkapo Willy Franken mit der Argumentation, es fehle eine Einsatzmöglichkeit, nach Buchenwald los zu werden. Am 19. Januar 1945 wurden 50 Häftlinge aus Niederorschel nach Langenstein-Zwieberge (Halberstadt) verlegt und fortan beim Bau der unterirdischen Junkers-Fabrik „Malachit“ eingesetzt.
Am 18. Februar 1945 schob die SS weitere 135 überwiegend arbeitsunfähige Lagerinsassen nach dorthin ab; in den Zu- und Abgangslisten Buchenwalds wird der Transport unter dem 21. Februar 1945 registriert. Von diesen 135 Häftlingen, darunter viele ungarische Juden, wurden 85 in das Krankenrevier von Langenstein aufgenommen; mindestens 23 Insassen des Transportes verstarben. Ende März 1945, als die Amerikaner etwa 30 Kilometer vor dem Lager standen, erteilte der Lagerführer Befehl, das Kommando Niederorschel aufzugeben und die noch 527 Häftlinge in das Stammlager zurückzuführen.
Am 1. April 1945 gegen 21.00 Uhr stürmte eine Abteilung Wachmänner in die Baracken und jagte die Gefangenen auf den Appellplatz hinaus. Die restlichen Lebensmittelvorräte des Lagers wurden ausgegeben; jeder Häftling erhielt ein Stück Brot, etwas Zucker und Honig. Gegen Mitternacht begann der Todesmarsch Richtung Mühlhausen und Buchenwald, dauerte die ganze Nacht; erst am nächsten Morgen wurde eine größere Pause eingelegt. Vom 2. auf den 3. April bezog die Kolonne in einer Scheune Nachtlager, setzte den Marsch am nächsten Abend über Ebeleben, Greußen, Straußfurt und Sömmerda fort und hatte am 6. April das Ziel Buchenwald fast erreicht. In der Ziegelei Berlstedt wurde noch einmal genächtigt, ehe die letzten fünf Kilometer zurückgelegt werden sollten. In der Küche fanden die Häftlinge Kartoffeln, die sie sich kochten.