Walbeck/Weferlingen

KZ-Außenkommando Walbeck bei Grasleben

Anfang 1944 begann Büssing und die zum Konzern gehörenden Niedersächsischen Motorenwerke GmbH (Niemo) unter Aufgabe ihrer bisherigen Betriebsstruktur mit der dezentralen Verlagerung ihrer Produktiom von Flugzeugmotoren. Die Weichen fielen auf einer von Reichsamtsleiter Saur geleiteten Sitzung des „Jägerstabes“ am 15. März 1944 in den Luther-Werken. Ende des Jahres arbeiteten die Niemo-Werke an 15 Verlagerungsstandorten. Diese ‚Ausweichbetriebe‘ befanden sich in einem Radius von 35 bis 300 km um das Braunschweiger Stammwerk. Weiter entfernt war nur der Betrieb in Neupaka (Nová Paka) in der besetzten Tschechoslowakei. Andere Niemo-Betriebe befanden sich in Langelsheim auf dem Gelände der Firma Uhlig (170 Mitarbeiter) und der Sophienhütte, in Grasleben (420 Arbeitskräfte), in Wendhausen bei Braunschweig (80 Beschäftigte), in Lamspringe (150 Mitarbeiter) und in Alfeld (500 Arbeitskräfte).

In Elze standen 1.350 und im Elzer Vorort Mehle weitere 160 Werksangehörige für Niemo an den Werkbänken. Weiter weg hatten die Niemo-Werke einen weiteren Produktionsstandort in Mönchengladbach, näher zu Braunschweig in Rhumspringe am Harz, vermutlich in den Gebäuden der Papierfabrik, wo 50 Personen tätig waren. Sogar in der „Goslarhalle“, in der vor dem Krieg die „Reichsbauerntage“ stattfanden, waren auf 3.500 qm 570 Mitarbeiter mit der Herstellung von Einzelkomponenten beschäftigt. Ihren Reparaturbetrieb brachten die Niemo-Werke in Landsberg am Lech unter. Bis Kriegsende hatte der Braunschweiger Flugmotorenhersteller seinen Bestand an Spezialmaschinen zur Herstellung von Komponenten weitgehend ausgelagert. Am Stammsitz waren nur die personalintensive Montage und die Prüfstände verblieben, die mit etwa zwei Drittel der ursprünglichen Belegschaft betrieben wurden.

Im März 1944 drängten die Niemo-Werke weitere wichtige Spezialmaschinen zum Schutz vor Bombenangriffen unter die Erde verlagern und dort betreiben zu können. Seit Umwidmung der aufgelassenen Thüringer Kalischächte gleich nach 1933 (Bernterode) zu Rüstungszwecken war diese Untertageverlagerung von Munitionsvorräten und Waffenproduktion gängige Praxis geworden. Anfang März 1944 besichtigten Vertreter des Wehrkreiskommandos die Kaliwerke Walbeck und Buchberg bei Grasleben (im westlichen Sachsen-Anhalt, unmittelbar an der Grenze zum niedersächsischen Kreis Helmstedt) zur Feststellung der Tauglichkeit für Rüstungsbetriebe. Im März 1944 befanden sich auf der 420-m-Sohle des Walbecker Schachts acht Kammern im Vortrieb, um sie im Sommer mit Kriegsgerät zu belegen. Der „Jägerstab“ setzte sich durch und sagte seinem Flugmotoren-Produzenten auf der 360-m-Sohle 3.500 qm für die Teileherstellung durch 800 Mitarbeiter zu. Der „Jägerstab“ hegte die Vorstellung, in den Walbecker Schächten innerhalb kürzester Zeit 73.500 qm für Produktionszwecke herzurichten; von denen 25.000 qm an die Henschel-Werke oder einen seiner Zulieferer gehen sollten. Weitere 45.000 qm hatte der „Jägerstab“ sich für eine spätere Vergabe vorbehalten. Im Sommer 1944 begannen die Bauarbeiten, kamen zunächst wegen fehlender Arbeitskräfte aber nur schleppend voran.

Bis Ende Juli 1944 war erst ein Produktionsraum auf der zweiten Sohle hergestellt. Häftlinge, die die Bauleitung Mitte August 1944 aus dem Konzentrationslager Buchenwald heran geordert hatte, sollten den Ausbau unter Tage forciert fortführen. Am 23. August traf ein erster Transport mit 500 KZ-Gefangenen in dem neu gegründeten Außenkommando „Weferlingen“ ein; bis zur Errichtung eines Barackenlagers waren sie in Zelten untergebracht, die die SS in der Nähe des Nachbarschachtes Buchberg aufstellen ließ. Um Wegzeiten zur Zwangsarbeit zu vermeiden, brachten die Bewacher einen Teil der Bauhäftlinge gleich im Stollen unter, das Tageslicht sahen sie nur selten. Sie schliefen auf zusammengezimmerten Lattenrosten, die keinen Schutz gegen Nässe boten. Als Auflage diente ein Strohsack. Unter den widrigsten Bedingungen verrichteten diese Unter-Tage-Häftlinge erzwungene Schwerstarbeit. Sie begradigten Strecken, brachen Gestein aus und gossen Betonsockel für Maschinen. Der hohe Stand der oft wöchentlichen Rücktransporte Kranker und damit Arbeitsunfähiger ins Stammlager zeigt, wie zermürbend und kräfteraubend Leben und Arbeit unter Tage gewesen sein müssen.

Durch ständigen „Ersatz“ dieser entkräfteten und siechenden Arbeitskräfte durch neue Häftlinge aus Buchenwald blieb die Belegschaft des Außenkommandos „Gazelle“ selbst in der Spätphase ab Januar 1945 mit 440 bis 460 Personen nahezu konstant. Namentlich bekannt sind zwei französischen KZ-Zwangsarbeiter, die am 29. März und 2. April 1945 im Außenkommando an Lungenentzündung starben; allerdings ist eine erheblich höhere Dunkelziffer von Todesfällen zu vermuten. Im Oktober 1944 zahlte die Bauleitung für zwangsrekrutierte KZ-Häftlinge 56.480,00 RM an die SS, im November 51.560,00 RM und im Folgemonat 43.152,00 RM. Allein im Jahr 1944 wurden unter den Bedingungen 3,4 Millionen RM in die Bauarbeiten gesteckt, doch die Inbetriebnahme der kompletten Anlage verzögerte sich. Bis Ende September 1944 konnte Niemo 500 seiner Maschinen unter Tage betreiben, zunächst provisorisch auf der ersten Sohle, dann wurden sie in einen größeren Raum der zweiten Sohle umgesetzt. Zu diesem Zeitpunkt sollen unter Tage bis zu 1.000 Personen für die Niemo-Werke Einzelkomponenten des gängigen Flugzeug-Kolbenmotors DB 605 hergestellt haben. Ab Herbst 1944 scheint es beim Fortgang der Bauarbeiten zu weiteren Schwierigkeiten gekommen zu sein. So führte das Oberbergamt Clausthal-Zellerfeld in seinem Bericht vom 9. Januar 1945 Beschwerde, dass die Fertigstellung eines zweiten Raumes sich wegen Fehlens von Betonkies stark verzögert habe, so dass im Dezember 1944 eine nennenswerte Verlagerung von Maschinen nicht mehr erfolgt sei.

Kurz vor Einmarsch der Alliierten setzte sich die SS-Lagerführung ab, führte die Bauhäftlinge aber nicht mehr wie andernorts nach Buchenwald zurück. So waren es am 12. April 421 völlig unterernährte und geschundene Lagerinsassen, die die 9. US-Armee befreite.

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