Sömmerda [Rheinmetall Borsig AG]
Das Rheinmetall Außenkommando in Sömmerda
Rheinmetall Sömmerda war einer der größtenn Rüstungsbetriebe in Thüringen. Etwa die Hälfte der im Stammwerk Sömmerda tätigen Arbeitskräfte war in der Munitionsfertigung tätig, weitere 1.102 arbeiteten im Januar 1945 im Gelenkwellenbau für Panzerkampfwagen, 771 in der Maschinengewehr-Produktion und 243 im Flugzeugbau. In der letzten Kriegsphase konnte die Arbeitsverwaltung immer weniger den Anforderungen des Unternehmens auf Zuweisung ausländischer Arbeitskräfte genügen, so dass für die Firmenleitung spätestens im Spätsommer 1944 die Beschäftigung von KZ-Häftlingen beschlossene Sache war und sie beim SS-WVHA die Zuweisung von 1.000 KZ-Gefangenen beantragte. Am 22. August 1944 überprüfte SS-Obersturmführer Guido Reimer im Auftrag des Buchenwalder Lagerkommandanten Pister die Einsatzmöglichkeit weiblicher Häftlinge im Rheinmetall-Werk Sömmerda. Bei der Gelegenheit erhöhte Rheinmetall seine Anforderung auf 1.100 Buchenwald-Häftlinge; 650 für die Zünderfabrik und 450 für das Laborierwerk. Pister meldete die Nachforderung umgehend dem SS-WVHA in Oranienburg und teilte mit, die Voraussetzungen für den Häftlingseinsatz sowohl in der Fabrik als auch für die lagermäßige Unterbringung seien gegeben. Die Arbeit in geschlossenen Hallen sei möglich, die Frauen sollten in zwei Schichten zu je 12 Stunden arbeiten. Das Werk stelle aus der Belegschaft 45 junge Mitarbeiterinnen als Aufseherinnen.
Ein erster Häftlingstransport mit 1.216 ungarischen Jüdinnen aus dem aufgelösten Frauen-Außenlager der Gelsenberg Benzin AG erreichte Sömmerda am 19. September 1944. Im KZ-Arbeitskommando in Gelsenkirchen-Hort waren die Frauen Anfang Juli aus Auschwitz-Birkenau eingetroffen, wo sie zur Beseitigung von Trümmern des durch Luftangriffe zerstörten Hydrierwerks eingesetzt wurden. Vom 11. bis 13. September 1944 war die Mineralölanlage erneut Ziel von Bombenangriffen; mindestens 138 der Häftlinge fielen ihnen zum Opfer; 94 erlitten teils schwerste Verletzungen. Am 14. September 1944 verständigte sich der Geilenberg-Stab bei einer Dringlichkeitssitzung auf den Abzug der Häftlinge für den Folgetag. In den Akten des Stammlagers Buchenwald erscheint das Außenlager Sömmerda erstmals am 20. September 1944. Der größte Teil der bei dem Angriff verletzten Frauen wurde bis Ende Januar 1945 aus den Krankenhäusern entlassen und ebenfalls schubweise nach Sömmerda gebracht, so dass sich die Zahl der KZ-Häftlinge auf etwa 1.300 erhöhte.
Das Sömmerdaer Außenlager lag in drei Kilometer Entfernung vom Rüstungsbetrieb in der Warschauer Straße (heute Friedrich-Ebert-Straße) hinter einem elektrischen Zaun. Geleitet wurde es vom SS-Oberscharführer Eugen Dietrich, dem 16 SS-Männer und 22 Aufseherinnen unterstanden.1935 Innerhalb des Lagerkomplexes standen zwölf Unterkunftsbaracken, umgebaute Pferdeställe, die zuvor als „Ostarbeiterlager“ gedient hatten. Die Schlafstellen bestanden aus dreistöckigen Gestellen, nur von wenigen Brettern zusammengehalten. Die ungarische Musikerin Anna Pauk berichtet im März 1978 in ihren Erinnerungen an das Leben in Sömmerda. Wie zuvor mussten die Frauen auch in Thüringen von Montag bis Samstag zwölf Stunden im Betrieb schuften. An den freien Sonntagen fanden nahezu ununterbrochen Zählappelle statt, bei denen sie stundenlang vor den Baracken stehen mussten. Allein im Dezember 1944 verrichteten die weiblichen Insassen des Außenkommandos Sömmerda mehr als 319.000 Stunden Zwangsarbeit, für die Rheinmetall 113.424,00 RM an die SS zu überweisen hatte. Bekannt ist, dass acht Frauen in Sömmerda verstarben, fünf von ihnen namentlich.1939 In ihrem Erinnerungsbericht spricht Anna Pauk von vier oder fünf schwangeren Frauen, die man nach Auschwitz transportiert habe. Eine der Frauen soll in Sömmerda ein Kind zur Welt gebracht haben, dass mit einer Giftinjektion getötet wurde.
Am 28. Februar 1945 meldete die Rheinmetall-Borsig AG Sömmerda 4.707 ausländische Zwangsarbeiter; außer den inzwischen 1.294 weiblichen Häftlingen, 1.084 „Ostarbeiter“ und „Ostarbeiterinnen“, 258 Belgier, 236 Franzosen, 107 Niederländer, 271 Italiener, 64 Kroaten, 155 Polen, 3 Serbinnen, 25 Tschechen, 18 Ukrainer und 41 weitere Zwangsarbeiter sowie 316 russische und 123 französische Kriegsgefangene.1941 Für diese Vielzahl ausländischer Zwangsarbeiter unterhielt Rheinmetall in der Erfurter-, der Uhland- und der Warschauer Straße mehrere Barackenlager; weitere zur Zwangsarbeit Verschleppte waren in Gasthaussälen in und um Sömmerda untergebracht. Das „Ostarbeiterlager“ in der Warschauer Straße war noch im Rohbau; trotzdem hausten darin streng bewacht Russen, Franzosen und seit September 1944 die ungarischen Jüdinnen des KZ-Außenlagers.
Am 24. oder 25. März 1945 evakuierte die SS dieses Rheinmetall-Außenkommando; die Ungarinnen wurden zunächst in das 70 Kilometer entfernte Buchenwalder Außenkommando Meuselwitz (Kreis Altenburg) getrieben, dessen etwa 1.000 weibliche Häftlinge seit dem Frühjahr 1944 an Maschinen der Hugo Arthur Schneider AG (HASAG) Panzerfäuste und Granaten herstellten. In Meuselwitz wurde die Gruppe der KZ-Häftlinge aus Sömmerda aufgeteilt. Etwa 200 marschierten unter Führung des Lagerleiters Eugen Dietrich in Richtung Glauchau in Sachsen und wurden von amerikanischen Truppen befreit. Der andere Teil der Häftlinge sollte per Bahn Richtung Osten, vermutlich nach Leitmeritz oder Theresienstadt, gebracht werden. Sie kamen allerdings nur bis zur Grenzstadt Kraslice, wo Tiefflieger den Transport bombardierten.
Die Überlebenden teilte die SS wiederum in Gruppen auf. Der größte Teil, etwa 1.000 Rheinmetall-Sömmerda-Häftlinge musste von Meuselwitz in Richtung Süden marschieren. Von der amerikanischen Journalistin Alison Owings befragt, schilderte eine der transportbegleitenden SS-Aufseherin, dass „der Marsch entschieden schlimmer gewesen sei“ als die Bedingungen im Lager selbst. „Das war das Schlimmste überhaupt, was man sich vorstellen kann. Ich meine, die Leute fielen unterwegs um vor Entkräftung. Die blieben einfach im Straßengraben liegen. Die konnten nicht mehr. (…) Jeder tappte nur so vor sich hin und hat das Gefühl gehabt, immer nur einen Fuß vor den anderen zu setzen, um mit der Gruppe mitzukommen“. Die, die nicht mithalten konnten, wurden von der männlichen SS-Begleitung erschossen. Es soll eine Vielzahl solcher Morde gegeben haben. Erst am 9. Mai 1945 stießen sowjetische Truppen in der Nähe eines Elbe-Nebenflusses auf die Marschkolonne und befreiten sie.