Heeresmunitionsanstalten
Munitionsanstalten in stillgelegten Kaliwerken
Trotz gleich bleibender Nachfrage nach Kalidünger ließ ein kaum gezügeltes Gründungsfieber die Zahl der deutschen Kalischächte bis 1921 auf 229 ansteigen. Aber das Kriegsende 1918 und die Abtretung des Elsass beendete die Monopolstellung der deutschen Kaliindustrie auf dem Weltmarkt. Die so entstandene ausländische Konkurrenz legte dramatisch die unzureichende Rentabilität vieler Kaliwerke offen. Um Kapazitäten abzubauen und ausgewählten Kaliproduzenten die Überlebensfähigkeit zu sichern, verbot die Weimarer Reichsregierung am 22. Oktober 1921 per Notverordnung neue Schächte niederzubringen. Bis 1933 wurden von den bestehenden 229 Kaliwerken 125 entweder zu Reserveanlagen erklärt oder zur gänzlichen Stilllegung in den kommenden 20 Jahren verurteilt. Ein umfassender Konzentrationsprozesses setzte ein. 1932 gab es nur noch 38 Schächte, die sich durch Stilllegungen freigewordene Förderquoten übertragen ließen und so ihre Produktion ausweiteten, während 66 auf Reserve gehalten wurden. Von diesem Konzentrationsprozesses profitierte insbesondere die Kaliindustrie in der Region Werra-Fulda, die eine dominierende Stellung einnahm. Etwa 80 % des Absatzes entfielen auf die drei großen Kaligesellschaften Wintershall AG (41 %), Vereinigte Salzwerke Salzdetfurth AG (24,5 %) und die Magdeburger Burbach-Kaliwerke AG (14,7 %).
Die Reserveschächte hielten die Kaliproduzenten betriebsbereit und nutzten diese zumeist als Wetter-, Seilfahrts- und Materialschächte. Vor allem im Staßfurter und Hannover-Braunschweigischen Revier gingen Kalischächte wegen des geringen Kaligehaltes im Rohsalz komplett außer Betrieb. Auch im Südharz-Unstrut-Revier ließ die regionale Kaliindustrie schon in den 1920er Jahren den Betrieb in 20 Schächten befristet auslaufen oder legte ihn auf Dauer still; lediglich 30 Schächte blieben in Betrieb oder wurden betriebsfähig gehalten, davon 21 für die Rohsalzförderung. Da sich die Werke die Möglichkeit offenhielten, Reserve- oder stillgelegte Schächte später wieder in Betrieb zu nehmen, mussten sie sie mit hohem Finanzaufwand unterhalten werden. Gern wälzten sie daher die immensen Instandhaltungskosten auf das Reich ab, banden so gleichzeitig die Arbeitskräfte, indem sie ihre stillgelegten Werksanlagen und Schächte bereitwillig der Reichswehr als Lagerstätten für Munition und weitere vor der alliierten Kontrollkommission zu verbergende Güter zur Verfügung stellte.Vorreiter war die Wintershall AG in Kassel, die schon Anfang 1934 dem Reich ihr Werk in Bernterode zum Zwecke der Erprobung überließ und nach erfolgreichen Lagerungsversuchen weitere stillgelegte Kalischächte offerierte. Ein umfassendes, anfangs noch verdecktes Programm unterirdischer Lagerstätten kam auf diese Weise in Gang. Selbst die zuständigen Bergbehörden erfuhren erst im April 1934 von den seit Monaten bestehenden Planungen und teils schon verwirklichten Baumaßnahmen der Reichswehr. Der Versailler Vertrag billigte der Reichswehr für jeden ihrer sieben Wehrkreise nur eine Munitionsanstalt zu. Um diese Beschränkungen zu unterlaufen, entwickelte das Militär den Plan, heimlich unterirdisch verborgene Munitionslager zu schaffen.
Zunächst ausschließlich in engen Kreisen der Regierung diskutiert, traten diese frühen Vorbereitungen eines Angriffskriegs zur Revision des Versailler Vertrages ans Licht, als das Reich ein Grundstück unmittelbar neben dem Kalkwerk Mariaglück bei Celle erwarb. Am 13. April 1934 forderte das Bergamt vom übergeordneten Reichswirtschaftsministerium Auskunft „über den Verwendungszweck des kürzlich von einer ungenannten Reichsstelle aufgekauften Geländes“. Am 18. April 1934 meldete sich der Reichswehrminister persönlich per Telefon beim Oberbergamt Clausthal-Zellerfeld. Er dürfte die Pläne der Reichswehr mitgeteilt haben, denn im Bestätigungsschreiben vom 17. Mai 1934 war davon die Rede, dass von „der Anstalt“ zur Grube eine Warnanlage einzurichten und dem Oberbergamt im Falle einer stärkeren Nutzung der Grubengebäude Nachricht zu geben sei. Um sich den bergrechtlichen Vorschriften nicht unterwerfen zu müssen, drängte die Reichswehr darauf, ihre Untertage-Munitionsanstalten vollständig aus der Zuständigkeit der Bergbehörden herauszulösen. Eine interne Notiz des Oberbergamtes vom 14. April 1935 bezeugt, dass die Frage der Kompetenzverteilung bis dahin noch ungeklärt war: „Über die Abgrenzung der Aufsichtsbefugnisse zwischen der Bergbehörde und den militärischen Stellen“ wären noch keine Abmachungen getroffen worden. Auch habe die Bergbehörde keine Kenntnis vom Inhalt der zwischen der Reichswehr und den Kaligesellschaften geschlossenen Verträge. Anfänglich ging das Wirtschaftsministerium davon aus, dass die Heeresverwaltung nur stillgelegte Kaliwerke, die für eine spätere Wiederaufnahme des Betriebes ohnehin nicht mehr in Frage kämen, umnutze. Noch Ende Mai 1934 bestand das Reichswirtschaftsministerium darauf, dass die „von der Bergbehörde für erforderlich gehaltenen Maßnahmen (…) im Wege gegenseitigen Einvernehmens mit der Militärbehörde“ zu treffen wären. Erst im September 1935 gab der Wirtschaftsminister seine starre Haltung auf und erklärte sein Einverständnis, die unterirdischen Munitionslager aus der Hoheit der Bergsicherheit zu entlassen.
Bei Kriegsende existierten Munitionsanstalten des Heeres, der Luftwaffe und der Marine in 25 Kaliwerken mit 48 Schächten; der Schacht Heidwinkel II in Grasleben im Landkreis Helmstedt war für die Munitionslagerung sogar erst neu niedergebracht worden. Im Südharzrevier blieb es bei den fünf Heeresmunitionsanstalten Bernterode, Kleinbodungen, Obergebra, Sondershausen und Wolkramshausen. Obendrein standen weitere Kaliwerke, die ebenfalls zu unterirdischen Munitionslagern ausgebaut werden sollten, auf der Wunschliste des Heeres. Dazu gehörten u. a. die Kaliwerke Nordhausen (Schächte I und II) und Hüpstedt (Schächte Beberstedt und Felsenfest), die das Heer im August 1935 erkunden ließ. Die Planungen für Hüpstedt waren bereits soweit fortgeschritten, dass konkrete Anforderungen für den Ausbau zu einer Vollmunitionsanstalt vorlagen. Die Umsetzung scheiterte daran, dass die Schächte zwischenzeitlich abgesoffen waren und damit als Lagerstätte ausschieden. Den Ausbau der Nordhäuser Kaliwerke stellte das Heer im vorletzten Kriegsjahr wegen technischer Schwierigkeiten und ausufernden Kosten ein.
Außerdem zog es die Heeresverwaltung ins Kalkül, die Schächte Irmgard und Walter der Gewerkschaft Heldrungen I und II für eigene Zwecke auszubauen. Im Auftrag des Heeresbauamtes Nordhausen öffnete die Nordhäuser Tiefbau- und Kälteindustrie, ehemals Gebhardt & König, die Schächte und nahm ab 1938 umfangreiche Instandsetzungsarbeiten vor. Allerdings stellte die Firma die Aufwältigungsarbeiten bei 352 m Teufe auf Veranlassung der Bergbehörde, nachdem geologische Probleme auftraten, ein. Dennoch wollte die Heeresverwaltung wegen der günstigen Lage nur ungern auf die oberirdischen Werksanlagen verzichten. Bis Anfang 1939 verschlangen die Aufwältigungsarbeiten 450.000 RM. Am 3. März 1939 befuhren Beauftragte der Bergbehörden und der Heeresverwaltung den Schacht Walter. Bei dieser Zusammenkunft legte Dipl. Ing. Milde von der Heeresverwaltung dar, dass sein Dienststelle beabsichtige, den unteren Teil der Schächte aufzugeben. Als Alternative überlege das Heer, beide Schächte im Haupt-Anhydrit durch einen Querschlag miteinander zu verbinden und die Lagerräume mit einer Höhe von 2,50 m in dieser Gebirgsschicht herzustellen. Aber dazu kam es nicht mehr. Anfang Februar 1940 unterrichtete der Kasseler Bergwerksdirektor Rudolph darüber, dass die Schächte Irmgard und Walter keine Verwendung für die Heeresverwaltung finden sollen, da das Heer die Schwierigkeiten für die Aufwältigung der Schächte als zu groß ansehe.
Die in den Bergwerken eingerichteten Munitionsanstalten boten im Vergleich zu oberirdischen Anlagen ein Vielfaches an Aufnahmekapazität, allerdings bei weitaus höheren Gestehungskosten. So wandte das Heer bis Sommer 1939 allein für den Ausbau der Munitionsanstalten Hänigsen, Ahrbergen, Diekholzen, Sehnde, Lehrte, Godenau, Volpriehausen, Neuhof und Herfa weit über 70 Millionen RM auf. Die vom Heer von Juni bis September 1936 in den Grubenbauen des Kaliwerkes Riedel durchgeführten Sprengversuche legten die mit der Munitionslagerung unter Tage verbundenen Risiken in dramatischer Weise offen. Selbst die auf wenige Kammern beschränkten Tests hinterließen verheerende Zerstörungen. Die aus Sicht der Militärs ernüchternden Ergebnisse veranlassten dazu, anders als zunächst geplant, keine 30 x 10 m, sondern lediglich noch 8 x 10 m große Munitionskammern unter Tage anzulegen; den Abstand zwischen den Kammern bestimmte das Heer nunmehr mit 15 m und die Höhe mit drei Metern. Wegen der daraus resultierenden Verringerung der Lagerkapazität von 200 t auf 50 t Sprengstoff pro Kammer ergab sich ein ungleich höherer Flächenbedarf, als bis dahin für die Munitionslager in stillgelegten Kaliwerken angenommen.
Ungeachtet der bekannten Bedrohung sah das Heer bis Sommer 1942 keine Veranlassung, weitere Maßnahmen zum Schutz seiner unterirdischen Munitionslager zu ergreifen. Erst das Unglück in der Heeresmunitionsanstalt Wolkramshausen am 29. Juli 1942 bewirkte ein Umdenken. Dort ereignete sich in einer etwa 250 m vom Schacht entfernten Untertage-Kammer, in der scharfe Munition gestapelt war, eine Explosion. Sie griff auf beladene Förderwagen über, die in den Zugangsstrecken abgestellt waren. Insgesamt explodierten etwa 8.000 t Sprengstoff. Dabei starben mindestens 145 Personen, überwiegend den Erstickungstod. Die Explosion zerstörte die Seilfahrtseinrichtungen; weder Überlebende noch Rettungsmannschaften konnten sie benutzen. Erst nach diesen Erfahrungen richtete die Wehrmacht Schutzräume für ihr Untertage-Personal ein.
Als seit Herbst 1943 der Bombenkrieg der Alliierten generell zwang, kriegswichtige Betriebe vor Luftangriffen unter der Erde zu schützen, versuchten andere Stellen der Kriegsführung vom RLM bis zum Speer-Ministerium, sich der vom Heer ausgebauten und genutzten Kalischächte zu bemächtigen, konnten sich aber gegen das Oberkommando der Wehrmacht nur vereinzelt durchsetzen.
Der Konkurrenzkampf um die unterirdischen Heeresmunitionsanstalten
Im Jahre 1943 nahmen die alliierten Bombenangriffe auf Schlüsselbetriebe der Kriegsmaschinerie derartige Ausmaße an, dass an eine Rüstungsproduktion in bisherigen Bahnen nicht mehr zu denken war. So wurden Forderungen drängender, Komponenten kriegswichtigen Gerät in aufgelassenen Kalischächten oder neu anzulegenden unterirdischen Stollensystemen, in Eisenbahntunneln oder sogar Brauereikellern vor feindlichen Luftangriffen geschützt zu produzieren. Zwischen dem Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion, Albert Speer, und dem Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Hermann Göring, entbrannte ein unüberbrückbarer Machtkampf um die Hoheit bei der Untertageverlagerung. Im Oktober 1943 richtete Hermann Göring einen „Sonderstab Höhlenbau“ ein, der die Aufgabe hatte, geeignete Standorte für eine Untertageverlagerung der Luftwaffenindustrie ausfindig zu machen. Aber auch Speer war bestrebt, die Zuständigkeit für die Untertageverlagerung persönlich an sich zu ziehen und die Entscheidungsgewalt bei sich zu konzentrieren. Als Kontroll- und Koordinationsstelle rief er im Februar 1944 bei seinem Amt Bau einen „Erkundungsstab für die unterirdische Verlagerung“ ins Leben. Die Stäbe Görings wie auch Speers übten also ähnliche Aufgaben aus. Das Nebeneinander wurde erst durch den Anfang März 1944 eingesetzten „Jägerstab“ beendet, der Vertreter und Fachleute beider Sonderstäbe vereinte, allerdings von Seiten Speers dominiert wurde. Der „Jägerstab“ war ein wesentlicher Schritt, den gesamten Luftwaffensektors dem Machtbereich Speers einzugliedern. Priorität bei der Planung von Verlagerungsaktionen hatten von nun an „Betriebe für die Erhaltung und Steigerung der Jägerproduktion, die sich wieder in Motorenwerke, solche der Flugzeugzellenerstellung und der Flugzeugrüstung unterteilten“.
Um einigen ausgewählten Rüstungsbetrieben zu ermöglichen, ihre Produktion – statt auf vorerst nur auf dem Papier stehende Neubauten unter Tage zu warten – zeitnah und vor Luftangriffen geschützt unter die Erde zu verlegen, versuchte der „Jägerstab“ immer wieder, einzelne Kalibergwerke in die Hand zu bekommen, in denen das Heer zum Teil schon seit 1934 seine Munitionsanstalten untergebracht hatte. Bis Anfang 1944 gelang es dem Oberkommando des Heeres, sich gegen derartige Bestrebungen zu sperren. Mitte Februar 1944 lagerte das Heer in 40, die Luftwaffe in acht und die Marine in zwei der 124 stillgelegten Kalischächte Kriegsmaterial und Munition. Mit Gründung des „Jägerstabes“ und der Bündelung der Zuständigkeit für die Untertageverlagerung bei ihm verschärfte sich der Druck auf die Wehrmacht. Am 3. März 1944 verlangte Speer von Generalfeldmarschall Keitel, die als Munitionslager genutzten Kalischächte sofort für Produktionszwecke zu räumen. Aber offenbar erhielt der Rüstungsminister, der zu dieser Zeit nicht mehr die Rückendeckung Hitlers hatte, keine Unterstützung mehr durch ihn. Postwendend musste das Speer-Ministerium klein beigeben. Bereits am 4. März ließ der zuständige Ministerialdirektor Schönleben dem OKW mitteilen, Speer habe von Forderung am Vortag Abstand genommen, „weil er nicht die Verantwortung übernehmen könne, den Munitionsanstalten die Möglichkeit unter Tage zu fertigen zu nehmen“.
Doch schon in der „Jägerstabsitzung“ am darauffolgenden 5. März forderte der erweiterte „Arbeitsstab U“ unter Hinweis auf Hitlers Richtlinien vom selben Tag erneut zumindest eine Teilfreimachung der Muna-Bergwerke. Weiterhin sollte geprüft werden, ob nicht auch noch betriebene Bergwerke herangezogen werden könnten, ohne deren Kaliförderung nennenswert zu beeinträchtigen. Am 8. März, nur drei Tage später, fand ein weiteres Gespräch zwischen Ministerialdirektor Schönleben, Leiter des erweiterten „Arbeitsstabes U“, und Vertretern der Feldzeuginspektion statt, die die Munas betrieb. Wiederum ging es um die Zusammenlegung unterirdischer Munas und die Freigabe einzelner Kalischächte für die Luftwaffenproduktion. Oberst Wedelstedt (Chef des Stabes OKH, Feldzeuginspektion) lehnte das rigoros ab, da ein Nebeneinander technisch unmöglich sei. Um ein gewisses Entgegenkommen zu zeigen, erklärte sich die Feldzeuginspektion bereit, vier von ihr teilausgebaute, aber unbenutzte Kaliwerke für Luftwaffenzwecke zur Verfügung zu stellen, und zwar die Kalischächte Beinrode I/II bei Königslutter, Burggraf bei Bernsdorf und Meimershausen/Hohenzollern sowie die Nordhäuser Kaliwerke I/II. Mitte März 1944 verständigten sich die Konkurrenten, gemeinsam mit den Bergbehörden die Heeresmunitionsanstalten nochmals zu besichtigen, um vor Ort Möglichkeiten der Freimachung zu prüfen. Das vordringliche Interesse des „Jägerstabes“ galt unterirdischen Räumen in Dingelstedt, Berka-Werra, Volpriehausen am Solling und Neuhof-Ellers.
Am 19. März 1944 fand unter Führung von Oberst Wedelstedt eine erste Begehung der Kalischächte der Muna Berka/Werra statt, an der Vertreter der Bergbehörden, der Wintershall AG und des Planungsamtes des RLM teilnahmen. Es zeigte sich, dass die Heeresmuna nur etwa 93.000 qm der verfügbaren 200.000 qm belegte, darunter die besten Flächen der obersten Sohle mit den größten Raumhöhen. Die Kommission kam zum Ergebnis, dass, wollte man die Muna nicht verdrängen, nur die untere Sohle für eine Vergabe an die Luftwaffe in Frage käme. Aber wegen fehlender Förderkapazitäten rieten die Teilnehmer von einem Ausbau zu Produktionszwecken ab, befürworteten vielmehr die Lagerung von Gütern, die an keinen termingerechten An- und Abtransport gebunden waren. Der erweiterte „Sonderstab U“ widersprach dieser Beurteilung. Er sah die Voraussetzungen für eine Fabrikation als uneingeschränkt gegeben und zielte darauf ab, die gesamte Anlage an sich zu bringen.
In den folgenden Wochen fanden weitere Begutachtungen von Heeresmunitionsanstalten in Kaliwerken statt. Dennoch kamen die Luftfahrt-Rüstungsplaner ihrem Ziel nicht näher. Ende April 1944 stellte Oberst Allmedinger vom Oberkommando der Wehrmacht in einer internen Notiz ernüchtert fest, „an die interessanten Objekte, insbesondere Ellers und Neuhof“ sei nicht heranzukommen, da die Munas es gezielt verhinderten. Er vermutete zudem, das Reichswirtschaftsministerium hielte seine Hand auf alle Bergwerke, die für eine Untertageverlagerung in Frage kämen. Um diesen Widerstand zu überwinden, kam die Idee auf, den erweiterten „Arbeitsstab U“ des RLM im „Jägerstab“ aufgehen zu lassen, um unter Berufung auf dessen von Hitler eingeräumte Sonderbefugnisse mehr Druck auszuüben. Entgegen einer Weisung Speers vom 22. Mai 1944 lehnte Major Kleber vom OKH wenige Tage später erneut die Übergabe der Schächte mit Heeresmunitionsanstalten mit dem Argument ab, die Förderanlagen seien durch Munitionstransporte völlig ausgelastet und wegen der Explosionsgefahr seien besondere Sicherheitsvorschriften zu beachten. „Dass in diesen Werken nicht unerhebliche Flächen ungenutzt sind“, könne nicht verhindert werden. Bis auf Einzelfälle gelang es dem Heer, eine Beschlagnahme seiner Munitionsanstalten in ehemaligen Kalibergwerken zu verhindern. Eine Ausnahme war der Schacht ‚Abteroda‘, bei dem der „Jägerstab“ eine Räumung durchsetzte, um dort ein BMW-Flugmotorenwerk zu installieren.
Ebenso gab es Bestrebungen, in den von der Heeresmunitionsanstalt Neuhof-Ellers zur Munitionslagerung genutzten Schächten einen Produktionsbetrieb unterzubringen. Am 23. September 1944 verfügte der „Rüstungsstab“, das OKH habe die Grube Ellers für die Herstellung von Panzergetrieben an den Frankfurter Automobilhersteller Adler abzutreten. Allerdings stand die Freigabe unter der Bedingung, dass für die Muna zuvor Ersatzräume auf der zweiten Sohle des Schachtes Neuhof bereitzustellen seien. Nach dem gleichen Muster beabsichtigte die Rüstungsindustrie weitere Verlagerungsbetriebe in Heeresmunitionsanstalten vor Bombenangriffen geschützt unterzubringen, doch waren die Einschnitte für die Munitionslager größtenteils nicht ganz so einschneidend. So waren im zumeist nur die oberirischen Gebäude oder Teile davon abzugeben, ohne dass damit größere Betriebs-Beeinträchtigungen verbunden waren. Denn gegen Ende des Krieges verlegte das Heer die Munitionsarbeitsräume ohnehin größtenteils nach unter Tage, so dass das Heer die Räumlichkeiten über Tage ohnehin kaum noch benötigte. Die Conti AG sicherte sich so beispielsweise Teile der freigewordenen oberirdischen Werksgeländes der HMA Ahrbergen. Auf dem zur Muna Freden gehörenden Schachtgelände Meimershausen ließ sich die Braunschweiger Büssing NAG Flugmotorenwerke eine Hallenfläche von 6.000 qm nieder. In den oberirdischen Bauten von Schacht Ludwig I der Nebenmunitionsanstalt Stassfurt kam Junkers Dessau unter.
Nicht zuletzt stand zur Debatte, die von der Heeresmunitionsanstalt Diekholzen genutzten Schächte Hildesia und Mathildenhall als unterirdische Produktionsstätten der Rüstungsindustrie zuzuführen. An erster Stelle bekundeten die Hildesheimer Trillke-Werke, ein Tochterunternehmen der Bosch AG, Interesse an einer Inanspruchnahme der etwa nur zwei Kilometer von der Fabrik entfernt gelegenen ober- und unterirdischen Anlagen der Muna. Der finale Schlagabtausch zwischen Heeresverwaltung und Befürwortern fand Anfang August 1944 statt. Oberst Dr. Vogel vom Feldzeugkommando Nordhausen, Baurat Dr. Grosse aus Hildesheim, Hauptmann Boij von der HMA Diekholzen sowie Direktor Dolezalek und Ing. Sauter von den Trillke-Werken waren die Akteure dieser entscheidenden Verhandlungsphase. Oberst Vogel referierte, dass Oberberghauptmann Gabel am 7. Juli 1944 die Muna Diekholzen besichtigt habe, um zu prüfen, ob die von der Heeresverwaltung belegten Schachtanlagen für die Verlagerung wichtiger Rüstungsbetriebe in Frage kämen. Für Hildesia habe er dies abgelehnt, jedoch für Mathildenhall die Möglichkeit der Platzmachung für andere Betriebe des Jägerstabes mit der Begründung bejaht, dass der Schacht nach seiner demnächst zu erwartenden Fertigstellung von der Heeresmunitionsanstalt allein nicht voll ausgenutzt werde. Für 2.000 ihrer Arbeitskräfte meldeten die Trillke-Werke einen Platzbedarf von 15 – 20.000 qm an. Obwohl noch keine endgültige Entscheidung gefallen war, holten die Trillke-Werke bereits vorab ein Angebot der Firma Gebhardt & König ein, dass für die Räume auf der 791 m Sohle mit 800 Arbeitskräften eine Herstellungszeit von acht Monaten auswies. Anfang September 1944 ging das Bergamt davon aus, dass die gesamte Schachtanlage Mathildenhall an Trillke ginge, der HMA hingegen der Schacht Hildesia verbleibt, mit Ausnahme eines Teils der Grubengebäude. Dort sollten 1.000 qm an Lagerraum für Trillke geschaffen werden.
Begleitend ließ die Rüstungs-Bürokratie bis dahin unberücksichtigte Kaliwerke, ob sie förderten oder nicht, als mögliche Verlagerungsstätten prüfen, erzielte jedoch kein nennenswertes Ergebnis. Nur wenige Kalischächte boten die für eine Rüstungsproduktion erforderlichen Bedingungen, zumeist waren sie allenfalls als Lager nutzbar. Die Erkundungen, die das Oberbergamt Clausthal-Zellerfeld zwischen Februar und April 1944 durchführte, bestätigten, dass sich die Kaliwerke des Südharzreviers ebenso wenig für größere Verlagerungen eigneten und zudem zur Lagerung von kriegswichtigem Material nur eingeschränkt tauglich waren. In den Kalischächten des Werragebietes dagegen fand die Rüstungsindustrie optimale Voraussetzungen für ihre Untertageverlagerungen. Obwohl sich mehrere hundert Firmen – etwa Telefunken, Zeiss, Henschel und die Schweinfurter Kugellagerfabriken (SKF) – aus dem gesamten Reich bewarben, erhielt BMW die größten Schachtanlagen um Eisenach zugeteilt. Im November 1944 rechnete der Rüstungsproduzent zunächst mit einer Untertagefläche von 149.000 qm. Vier unterirdische BMW-Werke sollten auf dem fast 30 Fußballfelder großen Areal unter den Decknamen „Rentier“ mit 60.000 qm (Schächte ‚Kaiseroda I‘ und ‚Salzungen‘), „Kalb“ mit 50.000 qm (Schacht Heiligenroda III), „Bär“ mit 14.000 qm (Schacht ‚Abteroda‘) und „Walross“ mit 25.000 qm (Schächte ‚Großherzog von Sachsen I‘ und ‚Dietlas‘) Platz finden. Schon zu dem Zeitpunkt muss BMW klar gewesen sein, dass Planungen, diese 15 ha Fläche in den Kalischächten zur Produktionsreife zu bringen, völlig illusorisch waren. Das hinderte den bayrischen Flugmotorenhersteller nicht, Anfang 1945 ein Vielfaches mehr an Untertagefläche für seine Pressen anzustreben.