Heeresmuna Berka/Werra (Schächte Abteroda und Alexandershall)
Heeresmunitionsanstalt Abteroda
Am 6. Februar 1937 bat der Reichs- und Preußische Wirtschaftsminister den Thüringischen Wirtschaftsminister darum, ihm weitere Kaliwerke zu nennen, die für die Einlagerung von Sprengstoffen und Munition in Betracht kämen. In einem Schreiben vom 9. März 1937 bezeichnete der Thüringische Wirtschaftsminister die Schachtanlage Alexandershall bei Berka an der Werra als besonders geeignet: „Der Schacht wird regelmäßig befahren und ist gut erhalten. Er kann für den Fall der Wiederinbetriebnahme mit dem benachbarten Schacht Abteroda zwecks Herstellung des zweiten fahrbaren Ausgangs jederzeit durchschlägig gemacht werden“. Trotz dieser generellen Eignung äußerte das Ministerium Vorbehalte gegen eine militärische Nutzung, da die Schachtanlage als Reservewerk für die Kaliindustrie erhalten werden sollte. „An sich wären die Schächte Alexandershall und Abteroda für die Einlagerung von Sprengstoff und Munition sehr geeignet. Sie bilden jedoch für die stark angespannten und mit großen Fabriken ausgerüsteten Werrakaliwerke eine so wertvolle Reserve, dass m. E. an eine Einlagerung von Heeressprengstoffen nicht gedacht werden kann“.
Noch im Februar 1937 unterbreitete die Eigentümerin, die Wintershall AG, der Heeresfeldzeugabteilung ein Angebot über die Überlassung der Schachtanlagen Alexandershall und Abteroda für die Dauer von zwanzig Jahren. Am 19. Mai 1937 wurde bei einer Besprechung im OKH in Berlin über die Nutzung des Werkes Alexandershall das Angebot eingehend erörtert. Das OKH vertrat die Auffassung, Alexandershall sei wegen seiner großen Lagermöglichkeit so wichtig, dass die Wehrmacht die von der Wintershall AG geforderten vier Millionen auch dann zu zahlen bereit wäre, wenn das Reichswirtschaftsministerium den Wert niedriger bewerten würde.
Am 16. März 1937 führten Vertreter des OKH, der Heeres-Feldzeugmeisterei, der zuständigen Heeresfeldzeugverwaltung sowie der Wehrkreisverwaltung IX und der Wintershall AG eine Besichtigung des Kaliwerkes durch. Am 25. April 1938 teilte die Wintershall AG dem Thüringischen Wirtschaftsministerium nachträglich mit, dass sie das Kaliwerk Alexandershall dem Reich für besondere Zwecke zur Verfügung gestellt habe und beantragte, „den Betrieb des Werkes (…) so lange aussetzen zu dürfen, wie es für die Zwecke des Reiches benutzt wird“. Diese Genehmigung erteilte das Thüringische Wirtschaftsministerium 3. Mai 1938 auf unbestimmte Zeit. Der Abschluss eines Nutzungsvertrages mit einer Laufzeit von 20 Jahren folgte im Laufe des Monats. Die Vereinbarung sah einen Übernahmepreis von vier Millionen RM für die oberirdischen Grubengebäude von Alexandershall und Abteroda vor. Die weiteren Details wurden erst viel später in einem umfangreichen Vertrag zwischen dem Reichsfiskus Heer und der Wintershall AG getroffen, der im Mai 1943 zur Unterzeichnung gelangte und zwar rückwirkend ab 1. Juli 1937. Wie ursprünglich vereinbart, sah die Vereinbarung eine Laufzeit bis zum 30. Juni 1957 vor.
Nach der Übergabe der beiden benachbarten Kaliwerke führte die Wintershall AG im Auftrag des Heeres umfangreiche Erweiterungsarbeiten aus, um die unterirdischen Grubenbaue für die Munitionseinlagerung herzurichten. Bis Januar 1940 wendete das Heer dafür allein Kosten von 15,6 Mio. RM auf. Neben den Munitionsanstalten Obergebra (Schächte Gebra/Lohra) und Volpriehausen (Wittekind-Hildasglück) sprach sich das Oberkommando des Heeres Anfang 1940 dafür aus, auch die Anlage Berka/Werra auf Dauer zu behalten. Zur Begründung führte das Heer an, dass im Falle der Rückgabe nur eines dieser Werke mehrere Heeresmunitionsanstalten mit einem erheblichen Geländebedarf neu geschaffen werden müssten. Allein für Alexandershall ergaben die Berechnungen des Heeres eine Ausweichfläche von 8,5 Munitionsanstalten mit einem Geländebedarf von 1.700 ha. Für den Fall der nicht freiwilligen Überlassung drohte das OKH mit einer Enteignung der Anlagen nach dem Reichsleistungsgesetzes, um so „die Duldung der Wehrmachtsanlagen zu erreichen“. Die Grubenbaue von Alexandershall und Abteroda waren zu diesem Zeitpunkt – und zwar bereits seit November 1938 – mit Pulver, Sprengstoffen und Munition voll belegt.
Die Munitionsanstalt Berka/Werra lagerte nicht nur militärisches Kriegsgut unter Tage ein, sondern stellte zugleich in großem Umfang Munition unterschiedlichster Kaliber her. Dafür richtete das Heer mit großem Kostenaufwand nördlich des Kaliwerkes Abteroda an der Straße von Dippach nach Abteroda gelegen, ein Munitionsfertigungsgebiet ein. Zu dieser komplexen Anlage gehörten zwei Arbeitshäuser und ein Handmunitionshaus, in denen Munition produziert wurde. Zudem verließen Kartusch- und Treibladungen die Hallen, die allerdings im April 1939, mit Ausnahme des Handmunitionshauses, noch nicht fertiggestellt waren. Weiterhin sah das zuständige Feldzeugkommando acht massive Lagerhäuser zur Aufnahme von Packgefäßen und Munitionszubehör vor, doch waren im Juni 1941 erst drei von ihnen errichtet; fünf weitere befanden sich noch im Bau. Nach der Fertigstellung von zwei weiteren Lagerhäusern wurden die Arbeiten an den drei Lagerhäusern vorerst eingestellt. Erst im Oktober 1942 entschied sich das Heer dazu, auch die „drei infolge des Krieges nicht fertiggestellten Neubauten“ herzurichten. Gleichzeitig wurden in den vier Lagerhäusern Munitionsarbeitsräume eingerichtet, in denen Geschosse mit Zündern versehen wurden.
Ende 1941 zählte die Belegschaft der Muna Berka/Werra sieben Offiziere, sieben Beamte, 30 Unteroffiziere/Wehrmachtsangehörige, 80 Angestellte, 640 Arbeiter, 272 Arbeiterinnen und 200 Mann der Wehrmachtsgefangenen-Abteilung Berka. Zudem ist der Arbeitseinsatz von 37 Arbeitsmaiden, die in einem aus zwei Baracken bestehenden Ledigenheim in Dippach untergebracht waren, belegt. Die männlichen Arbeitskräfte waren zumeist mit dem Ein- und Ausladen von Munition befasst. So fertigten 234 von ihnen allein am 30. Dezember 1941 sechs Munitionszüge ab, die be- und entladen wurden. Die weiblichen Arbeitskräfte waren auf unterschiedlichen Arbeitsstellen verteilt und vorwiegend mit der Herstellung von Munition, dem Abwiegen von Pulver und dem Nähen von sogenannten Kartuschbeuteln befasst. Welchen Stellenwert die Muna Berka/Werra für die Versorgung des Heeres hatte, zeigt sich schon allein daran, dass in dem Zeitraum vom 28.12.1941 bis 03.01.1942 insgesamt 52 Waggons entladen und 38 beladen wurden. In diesem Zeitraum produzierten Mitarbeiter der Muna über 15.000 Feldhaubitzgranaten, etwa 8.500 Patronen der Panzergranate Pak 38, 1.340 5-cm-Panzergranaten 39 und mehr als 8.000 Sonderkartuschen der leichten Feldhaubitze. Zudem tauschten sie 3.500 Zündschrauben aus. An die Front abgestellte deutsche Arbeitskräfte ersetzte die Muna nach und nach durch ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, vorwiegend aus Frankreich, den Niederlanden, Belgien und der Sowjetunion.
Sie fanden in vier Wohnbaracken und einer Wirtschaftsbaracke in der Nähe des Fertigungsgebietes Unterkunft.
Die Arbeits- und Lebensbedingungen der ausländischen Muna-Arbeiter/innen richteten sich nach ihrer nationalsozialistischen Hierarchisierung und ihrer nationalen Herkunft. Die westeuropäischen Arbeitskräfte waren zwar ebenfalls Einschränkungen unterworfen, doch waren ihre Bedingungen erträglicher, insbesondere im Vergleich zu ihren russischen Mitstreitern. Sie durften als einzige Gruppe das Lager nicht verlassen. Zudem mussten sie die gefährlichsten und schwersten Arbeiten verrichten. Auch waren ihre Lebensbedingungen im Lager mit denen anderer Gruppen nicht vergleichbar. „Die Russen holten sich die Küchenabfälle, die ich auf den Kompost gelegt hatte“, erinnert sich eine Bewohnerin. Sie führt weiter aus: „Man behandelte sie sehr schlecht. Manchmal wurden sie in Begleitung von zwei Wachposten zur Sanitätsstelle gebracht. Sie hatten so starke Bauchschmerzen, dass sie kaum noch gehen konnten und wurden dabei noch ständig von ihren Begleitern schikaniert“. Die ausländischen Arbeitskräfte waren teils unter Tage eingesetzt, wo sie Munition stapelten und für den Transport nach über Tage verluden.
Unter ihnen war der Franzose Didier Tulasne. Er verrichtete vom 22. März 1943 bis Anfang 1944 Zwangsarbeit in Berka. Um sich während der körperlich harten Arbeit Mut zu machen, reimte er gemeinsam mit anderen Franzosen einen Text: „500 m unter der Erde, wie die Regenwürmer, beladen und frei von Erde, mit Kästen voll Sprengstoff, marschieren wir im Gleichschritt, wir führen den Tanz an, lässig in unserem Äußeren, alle Zeit langsam, das sind wir, die Könige der Faulenzer“. Diese Zeilen haben sich in sein Gedächtnis gebrannt. Selbst mehr als 50 Jahre danach konnte er sich noch daran erinnern. Ein Indiz dafür, wie einschneidend und nachhaltig die Zeit für ihn in Berka war. Anfang 1944 wurden im RLM und dem von Albert Speer geleiteten Ministerium für Rüstung und Kriegsproduktion Pläne gefasst, das Heer aus seiner Munitionsanstalt zu verdrängen und die Anlage einer „kriegswichtigeren“ Nutzung zuzuführen. In den Grubenbauen von Alexandershall wollte man eine unterirdische Fabrik für Flugzeugteile unterbringen. Das stieß beim Oberkommandierenden der Wehrmacht auf beträchtlichen Widerstand, der letztlich aber erfolglos blieb. Am 19. März 1944 fand in der Heeresmunitionsanstalt eine Überprüfung durch Vertreter der Wintershall AG, des Wehrkreiskommandos, des OKH und des zuständigen Oberbergamtes statt, ob ein Nebeneinander von Munitionslagerung und einem unterirdischen Industriebetrieb möglich wäre.
Obwohl das Gremium das ausschloss, wies das Rüstungsamt auf Veranlassung des Jägerstabes am 29. März 1944 die Rüstungsinspektion Kassel an, die Schachtanlage Alexandershall „für vordringliche Fertigung von BMW Eisenach“ zu sperren. Die Räumung der unter Tage befindlichen Munitionsreste wollte das Rüstungsamt, das bei der Entscheidung des Reichsministers für Rüstung und Kriegsproduktion zunächst übergangen worden war, direkt mit dem Oberkommando der Wehrmacht abklären. Doch massive Proteste des Heeres verhinderten die Abgabe des Schachtes Alexandershall. Dafür wurde dem Eisenacher Flugmotorenhersteller der weniger genutzte Nachbarschacht Abteroda freigegeben. Bei einem Ortstermin mit Vertretern von BMW Eisenach fiel am 5. Juni 1944 die Entscheidung, die Grubenbaue von Abteroda zukünftig eigenständig zu bewettern und dadurch von Alexandershall unabhängig zu machen.
Unterdessen legte BMW am 23. Mai 1944 bereits einen dritten Planungsentwurf für sein Untertagewerk Abteroda vor. Noch im Mai 1944 begann die OT Einsatzgruppe IV auf der zweiten Sohle mit dem Bau der Produktionsräume. Dem Projekt waren die Decknamen „Bär“ für den Verlagerungsbetrieb und für das Bauprojekt selbst – nach den Anfangsbuchstaben Abterodas – „Anton“ zugeordnet. Um Platz für BMW Eisenach zu schaffen, räumte die Muna im Sommer 1944 auch ihr oberirdisches Fertigungs- und Lagergebiet. Aus diesem Grund bestand die Notwendigkeit, Alternativen zu suchen. Ende Juni 1944 verlegte das Heer die bis dahin in den Munitionsarbeitshäusern I und II untergebrachten Pulverarbeitsstellen in den Gemeinschaftsraum des „Ledigenheims“ in Dippach.
Entgegen der Forderungen des Flugzeugbauers waren Anfang Juli 1944 noch immer vier oberirdische Arbeitsstellen in zwei Munitionsarbeits- und zwei Lagerhäusern in Betrieb. Mit Schreiben vom 14. Juli 1944 bestätigte die Muna, „dass die beabsichtigte Verlegung sämtlicher Munitionsarbeiten nach unter Tage raummäßig möglich sei. Wohlfahrtsräume und Abortanlagen seien vorhanden oder ließen sich schaffen. Allerdings würde dies erhebliche organisatorische Schwierigkeiten bereiten“.
Ende Juli 1944 setzte die Muna die Forderungen des Jägerstabes um und nahm in den unterirdischen Grubenbauen der Schachtanlage Abteroda zwei provisorisch eingerichtete Arbeitsräume, die nicht den Sicherheitsbestimmungen entsprachen, in Betrieb. Obendrein entstanden im Schacht Alexandershall auf der oberen Sohle zwei weitere Munitonsarbeitsgebiete. Das Areal I bestand aus vier vollständig mit betoniertem Fußboden und Lichtanlage ausgebauten Räumen mit jeweils 770 qm. Die Räume des Areals II mit einer Fläche von 360 und 1.000 qm waren hingegen nur unvollständig ausgebaut. Auf der unteren Sohle von Alexandershall standen der Muna zwei weitere Räume behelfsmäßig zur Verfügung. Alle Munitionsfüllstellen waren im Dezember 1944 voll ausgelastet. Am 7. Juni 1944 stellte sich erneut eine Abordnung von Motorenhersteller und Jägerstab vor Ort ein, um sich über den Fortgang der Arbeiten zu unterrichten. Zu dem Zeitpunkt war die Wehrmacht noch mit der Leerung der Kammern im Feld Abteroda beschäftigt.
Doch von einigen hatte BMW bereits Besitz ergriffen und ließ sie von den Bergmännern der Muna für seine Zwecke herrichten. Nach der Besichtigung unter Tage forderte der Jägerstab erneut „die Abtretung zusätzlicher und für seine Zwecke besonders günstigen Grubenräume innerhalb des Grubenfeldes Alexandershall“. Dem widersprach der Leiter der Heeresmunitionsanstalt, nach der Aufgabe von Abteroda und der Untertageverlagerung auch der Munitionsfertigung stünde weiterer Platz nicht mehr zur Verfügung. Außerdem ließen sich einzelne Untertagehallen nicht ausgliedern und dem Feld Abteroda zuschlagen.
Aber BMW ließ nicht locker, drängte weiter auf Abgabe von Grubenbauen im Nachbarschacht. Zur abschließenden Klärung fand am 22. Juni 1944 eine erneute Befahrung der Kaligruben statt. BMW gelang es wiederum nicht, das Blatt für sich zu wenden. Es blieb bei dem ursprünglichen Aufteilungskompromiss und der Flugmotorenproduktion nur im Schacht Abteroda, die BMW am 17. April 1944 aufnahm. Die Heeresmunitionsanstalt wehrte die weitere Freigabe der Räume am Südostrand des Grubenfeldes mit den einsichtigen Argumenten ab, da die Munition offen in den Hallen lagere, könne der Weg der BMW-Belegschaft zu ihren Arbeitsplätzen nicht durch Alexandershall führen, außerdem bestehen für die Zahl der Arbeitskräfte im Falle einer Explosion keine ausreichenden Fluchtmöglichkeiten. Dagegen sicherte die Muna-Leitung die vollständige Räumung Abterodas bis zum 15. Juli 1944 zu. Der Zeitplan wurde allerdings nicht eingehalten. Erst am 29. September berichtete das Bergamt Schmalkalden seiner vorgesetzten Stelle in Clausthal-Zellerfeld, dass „die Maschinen eines Raumes (…) die Fertigung aufgenommen“ hätten und „infolge der Angriffe auf Eisenach (…) möglichst viele Maschinen unter Tage sichergestellt“ würden.
Anfängliche Planungen sahen vor, für BMW unter Tage eine Fläche von 10.000 qm zu schaffen. Im Juni 1944 kamen weitere 6.000 qm an reiner Lagerfläche hinzu. Ende 1944 waren etwa 10.500 qm bergmännisch eingeebnet, 9.000 qm davon betoniert. Zu dem Zeitpunkt waren 190 Maschinen in Betrieb. Bei Kriegsende soll BMW 8.000 qm unter Tage zur Herstellung von Teilen des Flugmotors „003“ genutzt haben. Bis Ende November 1944 verbrachte die Firma 431 Maschinen aus ihrem Eisenacher Werk Dürrerhof nach Abteroda. 970 Arbeitskräfte in zwei Abteilungen produzierten darauf Einzel- und Drehteile. Auch die Abteilung Düsengetriebe und Zahnräder wollte BMW ganz von Eisenach nach Abteroda verlegen, doch das ließ sich kurzfristig nicht machen. Anders als geplant waren bis November 1944 erst 40 % der Maschinen verlagert, möglicherweise infolge verzögerter Fertigstellung der vorgesehenen Räumlichkeiten. Dem Personalmangel brachte die Bauarbeiten der Organisation Todt immer wieder ins Stocken und Verzug. Zwar sagte das Kriegsgefangenenstammlager Bad Sulza im August 1944 die Abordnung 50 italienischer Militärinternierter zum Arbeitseinsatz zu, aber verwirklicht wurde das Versprechen nicht.
Wenige Monate vor dem Zusammenbruch waren keine zivilen Arbeitskräfte oder Zwangsarbeiter mehr zu haben, nur noch Arbeitssklaven aus den KZs kamen in Frage. So griffen sowohl die OT-Bauleitung für die Schachtbauarbeiten wie auch BMW für die Einrichtung der Maschinenhallen und den späteren Produktionsbetrieb auf dieses Arbeitskräfte-Reservoir zurück. Sie errichteten ein eigenes Außenkommando, das in den Buchenwalder Bestandslisten erstmals am 1. August 1944 mit 79 männlichen Insassen Erwähnung findet. Neben dem seit Ende Juli 1944 bestehenden Männerlager richtete die SS einige Wochen später das Frauen-Kommando „Anton II“ ein. Zur Geschichte der Buchenwalder KZ-Außenkommandos Abteroda erfahren Sie mehr auf dieser Seite.
Am 3. April 1945 besetzten amerikanische Truppen die Heeresmunitionsanstalt Berka. Nach ihrem Abzug nahm eine russische Einheit die Kaliwerke Alexandershall und Abteroda in Beschlag, die am 21. Juli 1945 unter anderem 110.890 t Schießpulver und Sprengstoffe (davon 70.670 t im Rohzustand), 620.000 Geschosse (Kaliber 10,5- und 12-cm), medizinisches Gerät und 5.000 t chemische Kampfstoffe in den unterirdischen Lagerräumen vorfand. In den Jahren 1945 bis 1947 ließ die SMAD die unterirdischen Grubenbaue räumen, was nur sehr unvollständig geschah. Lediglich die von BMW im Schacht Abteroda eingerichtete Fertigungsanlage für Flugzeugteile wurde vollständig demontiert. Das russische Ministerium für Automobilindustrie transportierte bis 1948 insgesamt 2.595 Maschinen mit einem Gesamtgewicht von 5.690 t ab. Die geborgenen Munitions- und Pulverbestände wurden mit Pferdewagen zum „Dietrichsberg“ in der Gemarkung Unterellen gebracht und dort gesprengt. Das lose Pulver verbrannte man auf der „Dornhecke“, dem jetzigen Berkaer Gewerbegebiet. Zum Teil nutzten die Bauern es auch als Dünger in der Landwirtschaft. Der Landwirt Ernst Hartung aus Dippach weiß noch: „So besorgten sich ortsansässige Bauern jenes Pulver. Jedoch durfte dieses Pulver nur sehr sparsam gestreut werden, ansonsten verbrannte die Saat“.
Ein Großteil der chemischen Kampfstoffe verblieb dagegen in den Schächten des Kaliwerkes. Im Jahr 1948 ließ die Jenaer Firma Potthof unbekannte Mengen Kampfstoff, zum Teil noch original verpackt, mit der Bahn abtransportieren. Der lose Kampfstoff wurde in Papiersäcke abgefüllt und in Waggons verladen. Der Schachtmeister Johannes Köhler erklärte im Jahr 1953 auf Befragung durch die Volkspolizei, dass ein auf Alexandershall stationierter russischer Major Puschkin das Beladen der Waggons geleitet habe. Es wären etwa 100 bis 120 Waggons gewesen. Die fertigen Züge seien von einem Transportkommando der Volkspolizei übernommen worden. Das Verladepersonal habe die Fa. Potthof aus Jena bezahlt. Der Unternehmer Potthof sei selber auch des Öfteren im Werk gewesen, um Anweisungen zu geben. Die Arbeiten hätten etwa vier Wochen gedauert. Das Ziel der Waggons sei niemandem bekannt gewesen. Vermutlich habe man die chemischen Kampfstoffe im Meer versenkt. Doch teilweise kippte man sie auch nur sorglos in oberirdischen Mulden auf dem Gelände des ehemaligen Kaliwerkes ab.
Am 3. September 1952 inspizierten Vertreter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) die „im Zuge der besonderen Maßnahmen an der Zonengrenze“ stillgelegten unterirdischen Grubenbaue.
Vom 2. Dezember 1952 bis 28. Januar 1953 räumte daraufhin der Munitionsbergungsdienst Erfurt den Schacht Alexandershall ein weiteres Mal. Die Nachsuche war erforderlich, weil die Räumung der Anlage in den Jahren 1945 bis 1947 nur mangelhaft ausgeführt worden war. Dabei stieß der Munitionsbergungsdienst auf der ersten Sohle in den Abschnitten „Helgoland“ und „Ludendorff“ (Räume 12, 162 und 182) auf weiträumig verstreute, pulverförmige Kampfstoffreste; eine Bergung unterblieb jedoch. Am 13. April 1953 ging bei der Bezirksbehörde der Volkspolizei in Erfurt eine Meldung ein, dass auf Alexandershall auch über Tage noch größere Mengen Kampfstoff lägen. Am darauffolgenden Tag besichtigte die Volkspolizei das nur durch einen Lattenzaun gesicherte Gelände. In einem halb mit Schutt zugeschütteten Tümpel fand sie etwa zwanzig stark beschädigte und teilweise bereits ausgelaufene Giftfässer vor. Beim Aufstochern mit einem Holzstock machte sich starker Azingeruch bemerkbar. Außerdem stellte man im Abraum größere rotbraune Flecke fest, die sich nach einer Untersuchung als Kampfstoff erwiesen. Die Volkspolizei ließ das Gelände daraufhin sofort sperren.
Im April 1953 ordnete die Hauptverwaltung der Deutschen Volkspolizei an, die Eingänge der kampfstoffverseuchten Stollen Nr. 182, 12 und 162 mit Gipsplatten zu verschließen und die Fugen mit Gips zu verstreichen. Außerdem sollten Tafeln mit der Aufschrift „Betreten verboten. Lebensgefahr! Deutsche Volkspolizei!“ angebracht werden. Am 15. April 1953 zeigte die Bezirksbehörde der Volkspolizei Erfurt der Hauptverwaltung den Vollzug der Arbeiten an; der Raum 162 habe aus Mangel an Gips jedoch nicht „verschlossen“ werden können. Vor dessen Eingänge habe man provisorisch Gipsplatten gestellt. Am 24. Juni 1953 nahm dann ein Kampfstoffbergungstrupp des Objektes Kapen (früher Munitionsanstalt Dessau) seine Arbeit auf. Statt einer ordnungsgemäßen Beseitigung der Kampfstoffe wurden jedoch lediglich wiederverwertbare Güter geborgen. So kippten die „Entsorger“ den Kampfstoff aus den Holzgefäßen und entfernten die Holzbohlen, auf denen die Fässer zum Schutz vor Nässe standen. „Die Räume, in denen das Holz lagert, befinden sich etwa 300 bis 400 m vom Förderkorb entfernt. Hier werden die Bohlen und Kanthölzer von den noch darauf lagernden Kampfstoffen, mittels Stahlbürsten gereinigt. Nach der Reinigung werden die Hölzer mittels Teckel durch Handbetrieb bis zur Hauptstrecke gebracht und von hier aus ungefähr 100 m durch Seilbahn zum Förderkorb gebracht.
Nachdem die Bohlen und Kanthölzer nach über Tage gebracht sind, werden dieselben noch einmal gründlich abgebürstet und nach eingeschlagenen Nägeln abgesucht, damit dieselben entfernt werden. Nach Beendigung dieses Arbeitsganges laufen die Hölzer durch eine Hobel- (Dicktenmaschine), wo sie von sämtlichen Seiten abgehobelt werden. Die Schicht, die abgehobelt wird, beträgt ca. fünf Millimeter. Des Weiteren werden die Bohlen und Kanthölzer an beiden Enden je zwei cm abgeschnitten. Auch hier wird die Arbeit in Schutzanzügen und Masken durchgeführt. Die Abfälle von den Hölzern kommen wieder in die verseuchten Räume zurück, wo sie nach Abschluss der Arbeiten eingemauert werden“. Durch diese Aktionen wurden bislang nicht betroffene Bereiche kontaminiert.
Diese Arbeiten unter Tage waren Mitte Oktober 1953 beendet. In der Zeit vom 29. September bis 12. Oktober 1953 wurden auch die über Tage befindlichen Fässer „beseitigt“, indem der Bergungstrupp sie einfach im Erdreich vergrub. In einem Schreiben des Kreisamtes der Volkspolizei Eisenach an die Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei in Erfurt vom 20. Oktober 1953 wird gemeldet: „Die Entgiftungsarbeiten über Tage sowie auch unter Tage sind beendet. Die verseuchten Stollen und Kammern unter Tage wurden zugemauert.
Die Giftstoffe über Tage sind vergraben worden und sollen von einer Baufirma noch mit einer größeren Erdschicht abgedeckt werden“. Am 6. September 1954, etwa ein Jahr nach Durchführung der „Entsorgungsarbeiten“, meldete die Bezirksbehörde der Volkspolizei Erfurt den Standort Alexandershall erneut als kampfstoffverseucht. „Am 14. April 1953 wurden die Räume 12, 162 und 182 im Kalischacht Alexandershall unter Tage bereits an die HVdVP zur Entseuchung gemeldet, ebenso der über Tage im Werksgelände befindliche kampfstoffverseuchte Platz. Obwohl im vorigen Jahr der Entgiftungstrupp Dessau dort gearbeitet hat, wurde unserer Ansicht nach die Räumung nicht hundertprozentig durchgeführt. Die über Tage lagernden Kampfstoffmengen wurden nur in die Erde eingegraben (sind somit nicht vernichtet). Unter Tage wurden aus den kampstoffverseuchten Räumen die Nutzhölzer geborgen, entseucht und ihrer Wiederverwertung zugeführt, wogegen die Kampfstoffreste in den Räumen verblieben und diese lediglich zugemauert wurden. Wir sind der Ansicht, dass eine restlose Beräumung durchgeführt werden müsste, zumal gerüchteweise Gespräche in Umlauf gesetzt werden, dass der Kalischacht Alexandershall in Kürze wieder in Betrieb genommen werden soll“.
Am 1. November 1954 fand auf dem Werksgelände des Kalischachtes Alexandershall eine Besprechung über die weitere Beseitigung der Kampfstoffe statt. Als Ergebnis hielt man fest: „In 2 Räumen der Schachtanlage Alexandershall befinden sich noch ca. 4 bis 5 t Kampfstoffe. Da die seinerzeit durch die Gärungschemie Dessau durchgeführte Beräumung der Schachtanlage sich lediglich auf Nutzmaterial erstreckte, verblieb der Kampfstoff mit unzureichenden Sicherheitsmaßnahmen in der Schachtanlage. Auf angebliche Weisung des damaligen Verantwortlichen Dr. Stangl sollten die Zugänge zu den kampfstoffverseuchten Räumen mit Gipsplatten und mit einer Mauer in Backsteinstärke zugesetzt werden. Die Zusetzung mit Gipsplatten erfolgte, wogegen die Errichtung von Mauern (…) unterblieb“. Die mangelnde Absicherung führte dazu, dass ein Arbeiter die Gipsplatte mit einem Hammer zerschlagen und in den kampfstoffverseuchten Raum eindringen konnte. Zur Vermeidung weiterer Vorfälle schlug der Regiebetrieb vor, den Kampfstoff in luftdichte Behälter zu füllen und aus dem Schacht zu holen. Trotz des hohen finanziellen Aufwandes sei es notwendig, diesen Weg zu beschreiten. „Durch das Einmauern des Kampfstoffes in einer Schachtanlage wird der Kampfstoff auf Jahrzehnte hinaus isoliert und bleibt in seiner Wirkungsfähigkeit voll brauchbar“.
Anfang Januar 1960 lehnte der Munitionsbergungsdienst Erfurt eine endgültige Räumung aus Kostengründen kategorisch ab. Am 16. August 1976 erhielt er jedoch den Auftrag, die kampfstoffverseuchten Grubenbaue der Schachtanlage durch weitere Abmauerungen zu sichern und seine Maßnahmen vor Ort fotografisch festzuhalten. Diese Arbeiten waren am 25. Januar 1977 abgeschlossen. Insgesamt wurden 30 Sperrmauern mit einer Gesamtlänge von knapp unter 230 m errichtet. Eine Mitteilung des Ministeriums des Innern der DDR vom 25. Mai 1988 lässt erkennen, dass der Munitionsbergungsdienst Erfurt halbjährlich die Absperrmauern überprüfte. Die letzte am 23. Dezember 1987 durchgeführte Kontrolle ergab keine Beanstandungen. Im September 1990 drangen erstmals Angaben über die unter Tage lagernden Kampfstoffe an die Öffentlichkeit.
Am 22. November 1990 beauftragte das Thüringer Umweltministerium das Bergamt Weimar mit einem Gutachten über die in der Schachtanlage Alexandershall lagernden Kampfstoffe. Am 26. und 27. Januar 1991 ließ daraufhin das Bergamt Erfurt durch die Grubenwehr der Kali-Werra AG acht zugemauerte Grubenbaue öffnen. An den noch sichtbaren Abdrücken waren die Standorte mehrerer hundert Fässer erkennbar. Bei der unsachgemäßen Räumung des Kampfstofflagers in den Jahren 1945 bis 1953 waren die Fässer zerstört, die darin enthaltenen Stoffe liegengelassen und teilweise flächig verstreut worden.
Das Bergamt Erfurt kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass das Gift wegen der vorhandenen Abdichtungen derzeit nicht nach außen gelangen könne. Insoweit könnten Maßnahmen ohne Zeitdruck getroffen werden. Es schlug vor, die Kampfstoffe zunächst unter Tage von Kampf- in Giftstoffe umzuwandeln. Daran sollte sich die Überführung in eine zugelassene Untertagedeponie anschließen; die entsorgten Bereiche sollten durch Abmauerungen erneut gesichert werden.