Sömmerda, Rheinmetall
Rüstungsschmiede Rheinmetall Borsig AG in Sömmerda
Ursprünglich handelte es sich um eine 1834 von Nikolaus von Dreyse gegründete Gewehrfabrik, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts mit der militärtechnischen Entwicklung der Armeehandfeuerwaffen nicht mehr mithalten konnte. Nach dem Tod von Dreyses betrieb das preußische Kriegsministerium den Aufkauf des Unternehmens, um es als reine Gewehrfabrik fortzuführen. Doch der Erbe, Franz von Dreyse, wollte mit seiner Firma breiter aufgestellt sein, lehnte ab und erhielt daraufhin keine staatlichen Aufträge mehr. Mit erheblich reduzierter Belegschaft stellte der Betrieb Waffen und Munition für nichtmilitärische Zwecke, aber auch landwirtschaftliche Geräte her und führte Eisenbahnaufträge aus. Trotz Erweiterung und Modernisierung der Produktionsstätten nahm die Firma eine rückläufige Entwicklung. Nach dem Tod von Dreyses 1894 wandelten die Erben Anfang Januar 1899 das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft um, die Munitions- und Waffen-Fabriken Aktiengesellschaft vormals Dreyse. Ein Jahr später, am 30. Januar 1901, erwarb Rheinmetall Düsseldorf die in Zahlungsschwierigkeiten geratene Gesellschaft. Die bisherigen Eigentümer erhielten im Gegenzug Rheinmetall-Aktien im Wert von 1,2 Millionen RM.
Die Konzernmutter stellte das Sömmerdaer Werk komplett auf die Herstellung von Zündern sowie deren Produktionsmaschinen und Werkzeuge um. Die Fabrikation für zivile Zwecke wurde völlig aufgegeben. Eine erneute Stagnation der Umsätze im Jahr 1908 führte zu einer weiteren Umstrukturierung innerhalb des Konzerns. 1909 beschränkte Rheinmetall die Herstellung von Schrapnellzündern ganz auf sein Stammwerk Düsseldorf, beließ lediglich die Granatzünderproduktion in Sömmerda. Neu erschlossene Absatzmärkte im Ausland ließen die Umsätze ab 1910 kontinuierlich steigen. Der erste Weltkrieg gab dieser Entwicklung weiteren Auftrieb. Um die Aufträge des kriegführenden Kaiserreichs über Zünder, aber auch Pistolen und Maschinengewehre zu erfüllen, musste das Werk in Sömmerda mehrfach erweitert werden. Wie an anderen Standorten des Konzerns ließ die Kriegsproduktion die Produktionszahlen und die Gewinne explodieren, die Belegschaft immens anwachsen. Vor Kriegsbeginn beschäftigte Rheinmetall in seinen zahlreichen Einzelunternehmen 8.000 Personen, im Oktober 1918 schon 48.000; ca. 10.000 waren in Sömmerda tätig. Nach Ende des 1. Weltkrieges folgten dann konzernweit Massenentlassungen. In Sömmerda stellte die auf lediglich 15 % reduzierte Belegschaft Wasserhähne, Milchzentrifugen und Autovergaser her; 1920 kam die Fabrikation von Büromaschinen hinzu.
Die Beschränkung auf zivile Produkte hatte jedoch nicht lange Bestand. Im Mai 1921 genehmigten die Siegermächte dem Rheinmetall-Konzern, die Rüstungsproduktion wieder aufzunehmen und Geschütze, Lafetten, Bremsen, Beobachtungsstände sowie Zünder und Zündsysteme herzustellen. Maschinengewehre durften hingegen offiziell nicht mehr produziert werden. Bei der Verteilung auf die Produktionsstandorte orientierte sich die Gesellschaft an Bewährtem: Zünder und Zündsysteme in Sömmerda, der Rest in Düsseldorf-Derendorf und Unterlüß. Den Vorgaben der Interalliierten Militär-Kontroll-Kommission zuwider wurden die eingeräumten Zündermengen weit überschritten. Trotz eindeutigen Verbotes nahm 1922 in Sömmerda Louis Stange die Entwicklung einer neuartigen Maschinenpistole auf. Im Oktober 1922 erteilte die Reichswehr dem Thüringer Werk den Monopolauftrag über sämtliche in Deutschland zugelassene Zünder. Dieser im Mai 1925 unterzeichnete Vertrag, der rückwirkend ab Oktober 1922 galt, sanktionierte die heimliche Zünderproduktion. Er war auf 15 Jahre geschlossen und für beide Parteien unkündbar. Rheinmetall war allerdings nicht gewillt, das wirtschaftliche Risiko zu tragen, machte vielmehr „die Zurverfügungstellung ihrer Betriebe und die Übernahme der sonstigen Vertragsbedingungen von der Gewährung einer unverzinslichen finanziellen Beihilfe in Höhe der erstmaligen Einrichtungskosten abhängig“. Für diese Beschaffung der „Ersteinrichtung“ flossen insgesamt 1,6 Millionen RM aus dem Reichshaushalt.
1925 kam als weiterer Produktionszweig von zunächst nur ziviler Bedeutung, der jedoch im Zweiten Weltkrieg größte militärische Bedeutung gewann, die Produktion von Autoteilen wie Kardanwellen und -gelenken hinzu. Die Machtübernahme durch das NS-Regime war dann das Signal, sich über die letzten Hindernisse hinwegzusetzen, die bisher einer ungehinderten Rüstungsproduktion im Weg gestanden hatten. Vom April bis Dezember 1933 verdoppelte Rheinmetall Sömmerda seine Belegschaft und entwickelte sich mit weit über 10.000 Arbeitskräften zu einem der größten Rüstungsbetriebe Thüringens. Die Bedeutung des Werkes ist unter anderem daran ablesbar, dass es gleich drei Fabrikationskennzeichen – „bmv“, „myx“ und „nhr“ – zugewiesen erhielt. Es stellte eine ganze Palette von Kriegsgütern her, wie Zünder, Patronen, Geschosshülsen, Zündschrauben, Maschinengewehre, Flakvisiere, Kardanwellen und Installationsmaterial für die Ausrüstung von Flugzeugen.1925 Spätestens Mitte 1942 waren alle Kapazitäten des Stammwerkes in Sömmerda ausgelastet. Um der Nachfrage nach Zündern und Kardangelenken Herr zu werden, richtete Rheinmetall mehrere Zweigbetriebe ein, im nordwestlich von Plauen gelegenen Schleiz für Teile der Zünderabteilung, in einer ehemaligen Gelatinefabrik in Stadtilm südlich von Erfurt Ende 1942 zur Produktion von Kardanwellen.
Selbst der „Jägerstab“ schätzte die Rheinmetall-Produktion derart hoch ein, dass er Mitte April 1944 die Zulassung der unterirdischen Verlagerung einzelner Abteilungen erwog, um sie vor Bombenangriffen zu schützen. In der vierten Sitzung erteilte sein „Arbeitsstab U“ am 13. und 14. April 1944 seinem regionalen Planungsbüro den Auftrag, sich unverzüglich mit Rheinmetall Sömmerda in Verbindung zu setzen und dessen Gelenkwellen-Herstellung eine Fläche von 15.000 qm fest zuzuweisen. Offenbar wurden diese Pläne aber nicht weiter verfolgt. 1944 nahm Rheinmetall Sömmerda in seine Produktpalette noch Kreiselgeräte zur Steuerung der im Kohnstein montierten A4 und Zünder für die Sprengstofflast der Rakete auf.
Etwa die Hälfte der im Stammwerk Sömmerda tätigen Arbeitskräfte war in der Munitionsfertigung tätig, weitere 1.102 arbeiteten im Januar 1945 im Gelenkwellenbau für Panzerkampfwagen, 771 in der Maschinengewehr-Produktion und 243 im Flugzeugbau. In der letzten Kriegsphase konnte die Arbeitsverwaltung immer weniger den Anforderungen des Unternehmens auf Zuweisung ausländischer Arbeitskräfte genügen, so dass für die Firmenleitung spätestens im Spätsommer 1944 die Beschäftigung von KZ-Häftlingen beschlossene Sache
war und sie beim SS-WVHA die Zuweisung von 1.000 KZ-Gefangenen beantragte. Am 22. August 1944 überprüfte SS-Obersturmführer Guido Reimer im Auftrag des Buchenwalder Lagerkommandanten Pister die Einsatzmöglichkeit weiblicher Häftlinge im Rheinmetall-Werk Sömmerda. Bei der Gelegenheit erhöhte Rheinmetall seine Anforderung auf 1.100 Buchenwald-Häftlinge; 650 für die Zünderfabrik und 450 für das Laborierwerk. Pister meldete die Nachforderung umgehend dem SS-WVHA in Oranienburg und teilte mit, die Voraussetzungen für den Häftlingseinsatz sowohl in der Fabrik als auch für die lagermäßige Unterbringung seien gegeben. Die Arbeit in geschlossenen Hallen sei möglich, die Frauen sollten in zwei Schichten zu je 12 Stunden arbeiten. Das Werk stelle aus der Belegschaft 45 junge Mitarbeiterinnen als Aufseherinnen.
Ein erster Häftlingstransport mit 1.216 ungarischen Jüdinnen aus dem aufgelösten Frauen-Außenlager der Gelsenberg Benzin AG erreichte Sömmerda am 19. September 1944. Im KZ-Arbeitskommando in Gelsenkirchen-Hort waren die Frauen Anfang Juli aus Auschwitz-Birkenau eingetroffen, wo sie zur Beseitigung von Trümmern des durch Luftangriffe zerstörten Hydrierwerks eingesetzt wurden. Vom 11. bis 13. September 1944 war die Mineralölanlage erneut Ziel von Bombenangriffen; mindestens 138 der Häftlinge fielen ihnen zum Opfer; 94 erlitten teils schwerste Verletzungen. Am 14. September 1944 verständigte sich der Geilenberg-Stab bei einer Dringlichkeitssitzung auf den Abzug der Häftlinge für den Folgetag. In den Akten des Stammlagers Buchenwald erscheint das Außenlager Sömmerda erstmals am 20. September 1944. Der größte Teil der bei dem Angriff verletzten Frauen wurde bis Ende Januar 1945 aus den Krankenhäusern entlassen und ebenfalls schubweise nach Sömmerda gebracht, so dass sich die Zahl der KZ-Häftlinge auf etwa 1.300 erhöhte. Weitere Detailinformationen zum KZ-Außenkommando finden Sie auf der Spezialseite zu diesem Thema.
Amerikanische Truppen besetzten das Werk in Sömmerda am 11. April 1945, transportierten in den folgenden Wochen alle wesentlichen Konstruktionsunterlagen und Pläne, insbesondere über die in Sömmerda gefertigten Kreiselgeräte der A4-Steuerung sowie sämtliche Produktionsmaschinen dafür ab. Nach der Übergabe Thüringens an die Sowjets ließ deren Militärverwaltung die Steuerungsgeräte der A4-Rakete von in Sömmerda verbliebenen Technikern im Betrieb nachbauen.